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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Zufall, dass die erste der Grisaillen, die heilige Katharina, Magdalenas Züge trägt. Doch alles, was um ihn herum geschieht, berührt ihn nicht, ja, dringt nicht einmal bis in seinen Kopf. Jakob Heller treibt die Vorbereitungen zur Taufe der Hannah Cronberg voran. Matthias sagt zu allem Ja und Amen, so gleichgültig ist ihm, was mit ihm und seinem Leben geschieht.
    Als im August 1512 dann die Taufe stattfindet, seine zukünftige Frau den christlichen Namen Anna erhält, das herrschaftliche Taufmahl von den Antonitern ausgerichtet wird und zu den Gästen dieses Festes so hochrangige Besucher wie Walter von Cronberg, Komtur des Deutschherrenordens, oder der Stadtadvokat Dr. Adam Schönwetter zählen, nimmt Matthias diese Geschehnisse nur am Rande und ohne die geringste innerliche Beteiligung wahr. Es ist ihm, als wäre er gespalten, bestünde aus zwei oder gar noch mehr Personen: Matthias, der verlassene Geliebte, Matthias, der Maler, und, ganz blass, Matthias, der Bürger, Bräutigam, Auftragnehmer, das gesellschaftliche Individuum.
    Einzig der Brief von Guido Guersi, den er als Antwort auf sein Schreiben erhält, in dem er dem Freund von Magdalena, der Arbeit am Heller-Altar, der bevorstehenden Vermählung mit Anna und der damit verbundenen Meisterwürde berichtet, reißt ihn aus seiner Lethargie. In diesem Brief nämlich erteilt ihm der Präzeptor des Isenheimer Antoniterordens den größten Auftrag, der zu dieser Zeit in deutschen Landen vergeben wird: den Auftrag, den Isenheimer Altar zu malen.
14. K APITEL
    A LS Matthias, noch immer als Hofmaler in den Diensten des Mainzer Erzbischofs Uriel von Gemmingen und von ihm für diesen großen Auftrag freigestellt, in Isenheim ankommt, fühlt er sich sofort wieder zu Hause. Alles, was in Frankfurt gewesen war, ist vergessen. Einzig die Arbeit am Altar hat in Kopf, Herz und Seele Platz. In den Bergwerken der Vogesen findet er alle Materialien, die er zum Herstellen der Farben braucht: Zink, Eisen, Kupfer, Kobalt, Arsenik, Antimon, Zinkblende und andere.
    Mit Guersi bespricht er die inhaltliche Darstellung, das Konzept. Guersi lässt dem Maler viel Freiraum. »Johannes, der Täufer, sprach: ›Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen‹«, erklärt er Matthias. »Das ist das Thema. Alles andere überlasse ich dir.« Bevor Matthias die erste Farbe anmischt, den ersten Pinselstrich ausführt, kehrt er noch einmal nach Frankfurt zurück, heiratet im November die 18-jährige Anna, geborene Cronberg, leistet den Bürgereid und kauft von den 93 Gulden, die Anna als Taufgeschenk erhalten hat, für 25 Gulden und 10 Schilling das Haus zum Löwenstein in der Kannengießergasse. Doch kaum sind diese Dinge erledigt, verlässt er seine junge Frau, sein Haus und die neu eingerichtete Werkstatt und eilt nach Isenheim zurück. »Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen.« Was bedeutet dieser Ausspruch? Welche grundlegende Botschaft verbirgt sich dahinter? Immer, wenn Matthias sich diesen Satz ins Gedächtnis ruft, spürt er eine Unruhe in sich, spürt etwas, das aus ihm herausbrechen will. Er spürt, nein, er weiß, dass sich hinter diesem Ausspruch der Sinn seines Lebens, die Antwort auf seine Fragen und das Ziel auf seinem Weg zu Gott finden wird. Doch er kann dieses Etwas, für das er keinen Namen hat, nicht fassen, nicht begreifen. Er fühlt sich wie ein Kind auf einer Schaukel, das hoch und immer höher schaukelt, mit beiden Armen den Himmel fassen möchte, doch noch reicht der Schwung der Schaukel nicht, noch fehlt eine Handbreit, ein kleines Stückchen nur, dann, ja, dann könnte er durch die Wolkendecke dringen und sehen, was ihm bisher verborgen war. Nur eines weiß er mit Sicherheit: Der Isenheimer Altar ist mehr als der größte Auftrag der deutschen Lande. Er wird die Summe all seiner Erfahrungen und Erkenntnisse, all seines Könnens, seiner Irrtümer, seines Wissens, das Fazit seines bisherigen Lebens, möglicherweise sogar die Antwort auf die Frage nach Gott werden.
    Doch wo steht er jetzt? Wie war, wie ist sein Leben? Welche Überzeugungen hat er gewonnen? Matthias unternimmt eine Wallfahrt nach Thann, einem kleinen Städtchen im Elsass. Auf dem Fußweg dorthin zieht er Bilanz.
    Die Bilanz seines Lebens. Zuerst der Anspruch. Ein Mensch auf der Suche nach Gott. Ein Maler auf der Suche nach dem einzig wahren Gottesbild. Die Stationen. Das Antoniterkloster in Grünberg, Fyolls Werkstatt, Holbeins Dominikaneraltar, die Wanderschaft, Riemenschneider, Lukas aus Kronach,

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