Der Maler und die Lady (German Edition)
mich gezeichnet“, erklärte sie ihrem Vater.
„Ja, das sehe ich“, erwiderte Fairchild und schnaubte kurz. „Nach dem Essen kann er dich so lange zeichnen, wie er will, aber jetzt habe ich Hunger.“
Essen schien eine beruhigende Wirkung auf Fairchild auszuüben. Während er sich eine Portion pochierten Lachs einverleibte, erging er sich in einer langen, fachmännischen Schmährede über den Surrealismus. Offenbar übte die freie Entfaltung der Phantasie, auch wenn dies einen Bruch sämtlicher Konventionen bedeutete, einen derartigenReiz auf ihn aus, dass er fast ein Jahr in das Studium und die praktische Anwendung investierte. Mit einem launigen Schulterzucken gestand er schließlich ein, dass seine Versuche als Surrealist recht dürftig und seine Auseinandersetzung mit der abstrakten Malerei wenig besser gewesen seien.
„Er hat diese Gemälde auf den Dachboden geräumt“, erklärte Lara und stocherte in ihrem Salat herum. „Es gibt ein Bild in den Farben blau und gelb mit Uhren in allen möglichen Größen und Formen, die irgendwie zu zerfließen und sich aufzulösen scheinen, und in einer Ecke sind zwei linke Schuhe. Er hat es ‚Die Abwesenheit der Zeit‘ genannt.“
„Es war ein Experiment“, knurrte Fairchild und beäugte Laras unberührte Fischportion.
„Er hat ein idiotisch hohes Kaufangebot ausgeschlagen und das Bild wie einen geisteskranken Anverwandten hinter Schloss und Riegel auf den Speicher verbannt.“ Vorsichtig manövrierte Lara den Fisch auf ihres Vaters Teller. „In Kürze wird seine Skulptur dem Gemälde Gesellschaft leisten.“
Fairchild schluckte und knirschte mit den Zähnen. „Herzloses Gör.“ Von einem Moment zum anderen war aus dem liebenswerten Cherub ein schnaubender Zwerg geworden. „In einem Jahr wird man den Namen Philip Fairchild als Inbegriff der Bildhauerkunst nennen.“
„Unsinn“, bemerkte Lara abschließend und spießte ein Stück Gurke auf. „Diese rosige Gesichtsfarbe steht dir gut, Papa.“ Lara beugte sich vor und drückte einen schmatzenden Kuss auf seine Wange. „Dem Fuchsienrot nicht unähnlich.“
„So alt bist du noch nicht, dass du meine Fähigkeit, dir das Hinterteil zu versohlen, bis es dieselbe Farbe hat, vergessen haben könntest.“
„Kinderschänder.“ Anatole beobachtete Lara, als sie aufstand und liebevoll die Arme um Fairchilds Hals schlang. In der Liebe zu ihrem Vater war die sonst so undurchschaubare Lara Fairchild transparent wie Glas. „Ich mache einen Spaziergang, sonst verwelke und vertrockne ich wie eine Blume. Kommst du mit?“
„Nein, nein, ich habe noch etwas zu erledigen.“ Fairchild tätschelte ihre Hand, als sie zusammenzuckte. Etwas schien zwischenden beiden vor sich zu gehen, ehe Fairchild sich Anatole zuwandte. „Gehen Sie mit ihr spazieren, und sehen Sie zu, dass Sie mit Ihren … Skizzen weiterkommen“, sagte er und kicherte. „Haben Sie Lara denn schon gefragt ob Sie sie malen dürfen? Alle wollen das.“ Er spießte ein Stück Fisch auf. „Bisher hat sie es niemandem erlaubt.“
Anatole griff nach dem Weinglas. „Ich habe Lara erklärt, dass ich sie malen werde.“
Voller Entzücken kicherte Fairchild erneut. Die wasserblauen Augen strahlten vor Freude über das nahende Unheil. „Sie braucht eine starke Hand, nicht wahr? Das war schon immer so. Ich weiß wirklich nicht, von wem sie dieses schreckliche Temperament geerbt hat.“ Arglos lächelnd fügte er hinzu: „Wahrscheinlich stammt es aus der Familie ihrer Mutter.“
Anatole betrachtete die heiter gelassene, sanftmütige Frau auf dem Gemälde. „Zweifellos.“
Es war ein warmer, föniger Septembertag. Der Garten war in bunte Herbstfarben getaucht. Die üppigen Zinnienstauden und Asternbüsche ragten über die Beeteinfassungen hinaus und verströmten einen intensiven Duft.
Lara zog Anatole mit sich zu einer Schwindel erregenden Anhöhe über dem Fluss. Tief unten schien das silbrige Band des Flusses wie reglos dazuliegen. Gleich verstreuten Punkten, Farbflecken ohne genaue Konturen und Struktur, lugten die kleinen Dörfer aus der weitläufigen Landschaft.
Lara und Anatole standen auf dem Bergrücken: zu ihren Füßen der Fluss, über ihnen der Himmel und um sie herum nur der Wind. Lara warf den Kopf in den Nacken. Sie sah urwüchsig, wild, unbesiegbar aus, wie das Haus hinter ihr.
„Warum lebst du hier?“ Gewöhnlich stellte Anatole nicht derart direkte Fragen, aber seit er Lara kannte, hatte sich das bereits geändert.
„Hier ist
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