Der Maler und die Lady (German Edition)
meine Familie, mein Zuhause, meine Arbeit.“
„Und die Abgeschiedenheit.“
Lara zuckte mit den Schultern. Sie hatte halb die Lider gesenkt. „Wir haben oft Besuch. Da ist man nicht einsam.“
„Hast du denn keine Lust zu reisen? Möchtest du nicht Florenz, Rom, Venedig besuchen?“
Sie stand etwas erhöht auf der Felskuppe und war deshalb fast gleich groß mit Anatole. Als sie sich zu ihm umdrehte, hatte sie nichts von der gewohnten Arroganz an sich. „Noch vor meinem zwölften Lebensjahr war ich bereits fünfmal in Europa. Während des Studiums habe ich vier Jahre in Paris gelebt.“ Über Anatoles Schulter hinweg ging Laras Blick in die Weite, und Anatole hätte nicht sagen können, ob sie etwas Bestimmtes betrachtete. „Ich habe mit einem bretonischen Grafen in einem Schloss geschlafen, ich bin in den Schweizer Alpen Ski gefahren und durch die Moore in Cornwall getrampt. Ich bin viel gereist und werde es wieder tun. Aber …“ Laras Lippen verzogen sich zu einem feinen Lächeln, und Anatole wusste, dass ihr Blick dem Haus galt. „Ich komme immer nach Hause.“
„Was zieht dich hierher?“
„Papa.“ Sie schwieg und lachte dann herzlich. „Ja, und Erinnerungen, die vertraute Umgebung, verrückte Gewohnheiten.“
„Du liebst deinen Vater sehr.“ Sie konnte die Dinge unendlich kompliziert oder vollkommen simpel erscheinen lassen. Der Job, den er übernommen hatte, belastete Anatole immer mehr.
„Ich liebe Papa über alles und mehr als irgendeinen anderen Menschen.“ Sie sprach leise, und ihre Stimme wurde von der frischen Brise davongetragen. „Er hat mich die wesentlichen Dinge des Lebens gelehrt: Sicherheit, Unabhängigkeit, Loyalität, Freundschaft, Liebe … und von ihm habe ich die Fähigkeit, diese Gefühle zu erwidern. Es wäre schön, eines Tages einen Menschen zu finden, an den ich all dies weiterverschenken kann. Dann wäre mein Heim bei ihm.“
Anatole konnte dem unerwarteten Liebreiz und der Schlichtheit ihrer Worte nicht widerstehen. Er wusste, er sollte es nicht tun, und doch streckte er die Hand aus und berührte ihre Wange. Als sie ihre Hand auf die seine legte, regten sich Empfindungen in ihm, die nichts mit körperlichem Verlangen zu tun hatten, aber nicht minder stark waren.
Lara fühlte seine Kraft, spürte die Verwirrung, die auch sie gepackt hatte. Ein andermal, unter anderen Umständen hätte vielleicht etwas daraus werden können. Aber im Moment nahmen zu viele andere Dinge sie in Anspruch. Bewusst ließ sie den Arm sinken und blickte wieder über den Fluss. „Ich verstehe nicht, warum ich dir das alles erzähle“, sagte sie leise. „Das ist gar nicht meine Art. Breiten andereLeute auch so ohne weiteres ihre persönlichen Gedanken vor dir aus?“
„Nein, aber vielleicht habe ich auch nicht zugehört.“
Lara sprang lachend vom Stein herunter. Blitzartig war die besinnliche Stimmung bei ihr verflogen. „Du gehörst nicht zu den Menschen, denen gegenüber man sein Herz ausschüttet.“ Zwanglos hakte sie sich bei ihm unter. „Du scheinst zwar einen kräftigen, breiten Rücken zu haben, aber du hältst immer auf Distanz und wirkst ein bisschen überheblich.“
Wie war es möglich, dass sie ihn im einen Moment um den Finger wickeln und im nächsten zur Weißglut treiben konnte? „Was soll das heißen, ich sei überheblich?“
Das klang ganz wie bei ihrem Vater, wenn er ungehalten wurde. Lara schluckte. „Nur so ein bisschen“, erläuterte sie und erstickte fast vor Lachen. „Sei nicht eingeschnappt, Anatole. Überheblichkeit hat durchaus ihren Platz in der Welt.“ Als er jedoch weiterhin finster auf sie herunterschaute, brach sie in Gelächter aus. „Mir gefällt das, wie du die linke Braue hochziehst, wenn du dich ärgerst.“
„Ich bin nicht überheblich.“ Anatole sprach sehr prononciert und beobachtete, wie sich Laras Lippen zu einem erneuten Heiterkeitsausbruch verzogen.
„Möglicherweise habe ich mich schlecht ausgedrückt.“
„Deine Wortwahl war absolut falsch.“ Er erwischte sich noch rechtzeitig dabei, dass er die Augenbraue wieder hochziehen wollte. Der Teufel hole sie!, schimpfte er in Gedanken und schwor sich, keine Miene zu verziehen.
„Also gut, dann förmlich.“ Beschwichtigend tätschelte Lara seine Wange. „Das wollte ich sagen.“
„Ich bin sicher, dass beide Begriffe für dich gleichbedeutend sind. Keiner von beiden passt auf mich.“
Lara legte den Kopf in den Nacken und sah Anatole aufmerksam an. „Vielleicht habe ich
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