Der Maler und die Lady (German Edition)
Paket?“
Mit dem Finger tippte Anatole an die Verpackung.
„Ach, das Paket meinst du. Oh, ich habe nur eine Besorgung zu erledigen. Es wird schon spät. Solltest du nicht zurückfahren?“
„Nein.“
„Nein?“ Lara zuckte gewollt gleichmütig die Schultern. „Das dachte ich mir.“
„Lara, was ist in dem Paket, und was hast du damit vor?“
„In Ordnung.“ Sie drückte ihm das Bild in die Hand, weil ihre Arme vom Tragen ermüdet waren. Wenn man schon in der Patsche saß, musste man versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. „Ich schulde dir wohl eine Erklärung, und du wirst ja sowieso nicht eher gehen, bis du sie hast. Da ich schon ziemlich spät dran bin, bekommst du eine Kurzfassung.“ Sie legte eine Hand auf das Paket, das Anatole in Händen hielt. „Das ist das ‚Weibliche Bildnis‘ von Tizian. Ich bringe es in die Galerie.“
Fragend zog Anatole eine Braue hoch. Auch ohne Laras Erklärung war ihm aufgefallen, dass es sich bei dem Paket um ein Gemälde handelte. „Ich denke, das besagte Bild hängt in der Galerie?“
„Nein …“, antwortete Lara gedehnt. Wäre ihr eine Lüge, eine Halbwahrheit, irgendeine Geschichte eingefallen, sie hätte sie ihm aufgetischt. Aber sie konnte ihm nur noch mit der Wahrheit kommen. Mit einem Nicken in Richtung Paket erklärte sie: „Das ist der echte Tizian. Das Bild in der Galerie ist ein Fairchild.“
Schweigend betrachtete er einen Moment ihr vom Mondlicht erhelltesGesicht. Sie sah aus wie ein Engel … oder wie eine Hexe. „Dein Vater hat einen Tizian gefälscht und ihn in der Galerie als Original ausgegeben?“
„Natürlich nicht!“ Ihre Entrüstung war nicht gespielt. Sie unterdrückte sie und versuchte, Geduld zu bewahren. „Du erfährst nicht ein Wort von mir, wenn du meinen Vater beleidigst.“
„Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist …“
„Also gut.“ Lara lehnte sich an einen Baumstamm. „Wahrscheinlich sollte ich mit dem Anfang beginnen.“
„Gute Idee.“
„Vor Jahren machten Papa und Harriet Urlaub in Europa. Sie fanden das Tiziangemälde, und jeder versicherte, es zuerst entdeckt zu haben. Es wäre ewig schade gewesen, das Bild ganz aufzugeben, und da keiner von beiden nachgeben wollte, einigten sie sich schließlich auf einen Kompromiss.“ Lara zeigte auf das Paket. „Jeder zahlte die Hälfte des Kaufpreises, und Papa machte eine Kopie von dem Gemälde. Alle sechs Monate wird das Gemälde jeweils zwischen ihnen mit der Kopie getauscht. Merkst du, worauf ich hinaus will? Es war abgemacht, dass keiner von beiden der alleinige Besitzer sein sollte. Harriet hängte das Bild in der Galerie auf. In ihrer Privatsammlung ist es nicht aufgeführt. Papa hängt es ins Gästezimmer.“
Einen Moment dachte Anatole über das soeben Gehörte nach. „Diese Geschichte ist zu lächerlich, um sie zu erfinden.“
„Natürlich habe ich sie nicht erfunden.“ Aber sie hätte sie sich durchaus ausdenken können. Schmollend schob sie die Unterlippe vor. „Hast du denn kein Vertrauen zu mir?“
„Nein. Du wirst mir noch einiges erklären müssen, wenn wir nach Hause kommen.“
Vielleicht, überlegte Lara. Vielleicht auch nicht.
„Und wie willst du nun in die Galerie kommen?“
„Mit Harriets Schlüssel.“
„Sie hat dir ihren Schlüssel gegeben?“
Genervt seufzte Lara auf. „Hör zu, Anatole. Harriet ist wütend, dass Stuart das Bild verkauft hat. Ehe sie jedoch nicht den Vertrag gelesen hat, weiß sie nicht, ob der Kauf wirklich perfekt ist. Die Chancen stehen ziemlich schlecht für sie. Wir können das Risiko nicht eingehen, dass das in der Galerie hängende Gemälde – meines VatersBild – geprüft wird. Wenn eine Expertenkommission die Prüfung vornimmt, könnte sich herausstellen, dass das Gemälde nicht aus dem 16. Jahrhundert stammt.“
„Weiß Harriet, dass sie eine Fälschung in der Galerie hängen hat?“
„Eine Nachahmung, Anatole.“
„Gibt es noch andere, hm… Nachahmungen in der Galerie?“
Lara musterte Anatole mit einem langen, kühlen Blick. „Ich gebe mir alle Mühe, meine Verärgerung über deine Bemerkungen zu unterdrücken. Harriets sämtliche Gemälde sind echt, und das gilt auch für den Tizian.“
„Warum hat sie ihn denn nicht selbst ausgetauscht?“
„Weil …“ Lara sah auf die Uhr. Die Zeit lief ihr davon. „Nicht nur, dass es für sie schwierig gewesen wäre, die Gesellschaft so früh zu verlassen, wie wir es taten. Es wäre überhaupt aufgefallen. Der Wächter in
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