Der Maler
der klapprige kleine Fiat hatte keine Klimaanlage. Michael lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Er wußte, daß alles nur schlimmer wurde, wenn man sich aufregte. Kairo glich einem Knoten, der sich um so fester zuzog, je mehr man daran zerrte.
Der Fahrer hielt Michael für einen reichen Ägypter, der von einem Urlaub in Rom zurückkam, und plauderte darüber, wie schlimm alles geworden sei. Er trug das bescheidene Gewand und den struppigen Vollbart eines gläubigen Muslims. Alle nur denkbaren Verkehrsteilnehmer verstopften die Straße: Autos, Dieselqualmwolken ausstoßende Busse und Lastwagen, Eselskarren, Radfahrer und Fußgänger. Ein magerer kleiner Junge hielt Michael ein lebendes Huhn vors Gesicht und bot es ihm zum Kauf an. Der Fahrer vertrieb ihn laut schimpfend. Von einer riesigen Reklametafel am Straßenrand lächelte gütig der ägyptische Präsident herab. »Das Grinsen würde ihm schnell vergehen, wenn er so wie wir im Verkehr festsäße«, murmelte der Fahrer.
Michael hatte zwar nie in Kairo gelebt, hatte aber schon viel Zeit hier verbracht. Er war Führungsoffizier eines wichtigen Agenten im Muchabarat gewesen, dem allgegenwärtigen ägyptischen Geheimdienst. Der Agent wollte mit keinem Offizier der Cairo Station reden, weil er wußte, daß die US-Botschaft und die Räume der Agency scharf überwacht wurden; deshalb war Michael von Zeit zu Zeit als angeblicher Geschäftsmann nach Kairo gekommen, um seine Berichte selbst entgegenzunehmen.
Dieser Agent hatte wertvolle Erkenntnisse über die radikalen Islamisten in Ägypten geliefert, dem wichtigsten US-Verbündeten in der arabischen Welt. Manchmal flossen Informationen auch in Gegenrichtung. Als Michael von einem geplanten Attentat auf den ägyptischen Innenminister erfuhr, gab er die Information an seinen Agenten weiter. Die Tat wurde vereitelt, und mehrere Mitglieder der Muslimbrüder wurden verhaftet. Michaels Mann machte auf der Karriereleiter einen gewaltigen Sprung nach oben, der ihm Zugang zu noch besseren Informationen verschaffte.
Das Nile Hilton liegt am El-Tahrir-Platz mit Blick auf den Fluß. Tahrir heißt auf Arabisch Befreiung, und Michael hatte schon immer gefunden, es gebe weltweit keinen unpassender benannten Ort. Auf dem riesigen Platz staute sich täglich bis spät in die Nacht der Verkehr. Das Taxi war seit fünf Minuten keinen Zentimeter weitergekommen. Das Hupkonzert war unerträglich. Michael bezahlte und ging das letzte Stück zu Fuß.
Er bezog ein Zimmer, duschte, zog leichtere Kleidung an und verließ das Hotel. Der Muchabarat verfügte über einen der größten Abhördienste der Welt. Michael war sicher, daß das Telefon in seinem Zimmer abgehört wurde, obwohl er sich als italienischer Geschäftsmann ausgegeben hatte, der zu Besprechungen nach Kairo gekommen war. Er ging in den U-Bahnhof Midan el-Tahrir und fand eine freie Telefonzelle. Dort sprach er zwei Minuten lang halblaut und erhob seine Stimme nur einmal, um das Rattern einer einfahrenden U-Bahn zu übertönen.
Er hatte noch zwei Stunden Zeit, die er zweckmäßig verwenden würde. Er nahm die nächste U-Bahn, stieg an der ersten Haltestelle aus und fuhr wieder zurück. Er verließ den U-Bahnhof und ging ins Ägyptische Museum. Er ließ sich in einen auf Duftöle spezialisierten Touristenshop locken. Die jungen Verkäufer bewirteten ihn mit Tee und Zigaretten, während er alle möglichen Düfte beschnupperte. Michael revanchierte sich für ihre Gastfreundschaft, indem er ein Fläschchen Sandelholzöl kaufte, das er auf der Straße in den nächsten Abfallkorb warf. Er war clean, wurde nicht beschattet.
Er hielt ein Taxi an und stieg ein.
Kairo ist eine Stadt von verblaßter Eleganz. Früher gab es hier prächtige Filmtheater, eine Oper und von Mauern umgebene Villen, aus denen Kammermusik in warme Nächte hinausdrang.
Davon ist wenig geblieben, und dieses wenige hat Ähnlichkeit mit Zeitungspapier, das zu lange in der Sonne gelegen hat. Viele Villen stehen leer, die Oper ist abgebrannt, und die Filmtheater stinken nach Urin. Das Restaurant Arabesque erinnert an das alte Kairo, ein wenig wie ein alter Mann, der Anzug und Krawatte trägt, während er den ganzen Tag kleine Arbeiten in Haus und Hof erledigt.
Es war drei Uhr, die stille Zeit zwischen Lunch und Dinner, und das Lokal war fast leer. Michael mußte sich tatsächlich anstrengen, um etwas von dem Verkehrslärm zu hören, so gut war die Schallisolierung des Restaurants. Jusuf Hafis saß an
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