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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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liebten. Sie fühlte sich von ihrem Körper im Stich gelassen.
    Der Mercedes stand in einer Ecke des Parkplatzes allein. Sie angelte ihre Schlüssel aus der Manteltasche, zeigte mit der Fernbedienung auf den Wagen und drückte auf den Knopf. Die Türen wurden entriegelt, und die Innenbeleuchtung ging an. Sie stieg rasch ein, zog die Tür zu und verriegelte sie wieder. Sie wollte den Zündschlüssel ins Schloß stecken, aber ihre Hand zitterte so stark, daß die Schlüssel auf den Wagenboden fielen.
    Als sie sich danach bückte, schlug sie sich den Kopf am Instrumentenbrett an.
    Elizabeth Osbourne legte Wert auf Selbstbeherrschung - vor Gericht, in der Kanzlei, im Umgang mit Michael. Sie ließ nie zu, daß ihre Gefühle mit ihr durchgingen. Nicht mal, wenn Sam Braxton seine witzigen Bemerkungen machte. Aber jetzt, wo sie mit im Gesicht klebenden nassen Haaren in ihrem Auto saß, verlor sie die Fassung. Ihr Körper sank langsam nach vorn, bis ihre Stirn auf dem Lenkrad lag. Dann kamen die Tränen, und sie saß im Wagen und schluchzte.

4
    WASHINGTON, D.C.
     
    Zwanzig Minuten später hielt eine schwarze Limousine aus dem Fuhrpark des Weißen Hauses vor eine r Villa im Stadtteil Kalorama. Schwarze Dienstwagen und Limousinen waren hier kein ungewöhnlicher Anblick. In Kalorama, dessen bewaldete Hügel sich an den Rock Creek Park unmittelbar nördlich der Massachusetts Avenue anschlossen, lebten einige der mächtigsten und einflußreichsten Einwohner Washingtons.
    Im allgemeinen verabscheute Mitchell Elliott die Städte an der Ostküste - er verbrachte die meiste Zeit in Colorado Springs oder in seiner an einem Canyon erbauten Villa in Los Angeles in unmittelbarer Nähe der Hauptverwaltung seiner Firma Alatron Defense Systems -, aber seine Drei-Millionen-Dollar-Villa in Kalorama trug dazu bei, seine häufigen Reisen nach Washington erträglich zu machen. Er hatte erwogen, einen großen Landsitz im Pferdeland Virginia zu kaufe n, aber Fahrten in die Stadt auf der Route 66 waren ein Alptraum, und Mitchell Elliott vergeudete nicht gern seine kostbare Zeit. Die Villa in Kalorama lag zehn Minuten vom National Airport und dem Kapitol und nur fünf Minuten vom Weißen Haus entfernt.
    Es war fünf vor sieben. Elliott entspannte sich in der Bibliothek im ersten Stock mit Blick auf den Garten. Der Sturm peitschte den Regen gegen die Scheiben. Es war kalt für Oktober, und einer seiner Assistenten hatte in dem großen Kamin Feuer gemacht. Elliott ging langsam davor auf und ab und trank mit kleinen Schlucken einen dreißig Jahre alten Single-Malt-Scotch aus einem geschliffenen Glas. Er war ein kleiner Mann, nicht einmal einssiebzig, der frühzeitig gelernt hatte, wie ein großer Mann aufzutreten. Er wußte genau, wie zu verhindern war, daß ein Gegenspieler vor ihm stand und ihn überragte. Betrat jemand sein Büro, blieb Elliott mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzen, die Hände auf den Armlehnen seines Chefsessels, als sei das Sitzmöbel für seinen Körper zu klein.
    Elliott verstand sich auf die Kunst der Kriegführung und vor allem auf die Kunst der Täuschung. Er vertraute ganz auf Illusion, auf Desinformation. Er führte seine Firma wie einen Geheimdienst; keiner wußte mehr als nötig. Es gab keine frei zugänglichen Informationen. Selbst Abteilungsleiter wußten nur das, was sie wissen mußten. Äußerst selten gab es Konferenzen, an der alle Führungskräfte teilnahmen. Anweisungen erteilte Elliott in Gesprächen unter vier Augen, nie schriftlich.
    Besprechungen mit Elliott galten als streng geheim; Führungskräfte durften darüber nicht mit Kollegen sprechen.
    Büroklatsch war ein Kündigungsgrund, und falls einer seiner Mitarbeiter nicht dichthielt, erfuhr Elliott sofort davon. Ihre Telefone wurden abgehört, ihre E-Mails mitgelesen, Mikrofone und Überwachungskameras kontrollierten jeden Quadratzentimeter Büroraum.
    Mitchell Elliott sah darin nichts Unrechtes. Er glaubte, Gott habe ihm das Recht und sogar den Auftrag gegeben, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zum Schutz seines Unternehmens und seines Landes notwendig waren. Elliotts Glaube an Gott bestimmte alles, was er tat. Er glaubte, die Vereinigten Staaten seien Gottes auserwähltes Land, die Amerikaner sein auserwähltes Volk. Er glaubte, Christus habe ihn geheißen, Flugzeugbau und Elektrotechnik zu studieren, und auf Geheiß Christi war er zur Luftwaffe gegangen, um in Korea gegen die gottlosen Chinesen zu kämpfen.
    Nach dem Krieg zog er nach

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