Der Maler
wieder geduldig auseinander, er sei Führungsoffizier, kein Spion. Sie hielt das für eine alberne Beschreibung von Michaels Tätigkeit. »Das klingt, als seist du ein Berater oder Sozialarbeiter«, hatte Elizabeth in der Nacht gesagt, in der Michael erstmals versucht hatte, ihr seine Arbeit zu erklären. Er hatte mit seinem zurückhaltenden Lächeln geantwortet: »Nun, das ist gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.«
Sie hatte sich in Michael verliebt, bevor sie erfahren hatte, daß er bei der CIA arbeitete. Freunde hatten sie zum Segeln auf der Chesapeake Bay eingeladen, und Michael war ebenfalls eingeladen gewesen. An diesem feuchtheißen Tag Ende Juli wehte nur ein leichter Wind. Während das Boot übers stille Wasser trieb, lagen Elizabeth und Michael im Schatten der schlaffen Segel, tranken eisgekühltes Bier und redeten miteinander. Im Gegensatz zu den meisten hiesigen Männern sprach er kaum über seine Arbeit. Er war international als Unternehmensberater tätig, hatte einige Jahre in London gelebt und war gerade in die Washingtoner Filiale seiner Firma versetzt worden.
Abends saßen sie in Annapolis in einem kleinen Restaurant am Wasser, aßen Krabbenpasteten und tranken Weißwein. Sie merkte, daß sie ihn beim Essen immer wieder anstarrte. Er war einfach der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Der Tag auf dem Wasser hatte ihn verändert. Die Sonne hatte seine Haut gebräunt und in seinem dunklen Haar goldgelbe Strähnen hinterlassen. Seine Augen waren grün mit hellen Flecken wie wildwachsendes Sommergras. Er hatte eine lange, gerade Nase, und sie mußte sich beherrschen, um nicht eine Hand auszustrecken und seine vollkommenen Lippen zu berühren. Sie fand, er sehe recht exotisch aus, wie ein Italiener, Spanier oder Türke.
An diesem Abend fuhr er auf der Route 50 hinter ihr her in die Stadt zurück, und sie nahm ihn mit nach Hause in ihr Bett.
Sie war vierunddreißig und hatte sich beinahe damit abgefunden, nie zu heiraten. Aber als sie ihn in dieser Nacht zum erstenmal in sich aufnahm, verliebte sie sich rasend und hoffnungslos in einen Mann, den sie erst vor acht Stunden kennengelernt hatte und von dem sie so gut wie gar nichts wußte.
Von seiner Arbeit erzählte er ihr zwei Monate später, als sie allein ein verlängertes Wochenende im Sommerhaus ihres Vaters auf Shelter Island im Staat New York verbrachten. Die Tage waren warm, aber wenn abends Wind aufkam, lag schon etwas Herbstfrische in der Luft. Nach dem Abendessen zogen sie Pullover und lange Hosen an und tranken ihren Kaffee in den Liegestühlen am Strand. »Ich muß mit dir über meine Arbeit reden«, sagte er ohne Vorwarnung, und sie sah in der verblassenden Abenddämmerung, daß sein Gesichtsausdruck plötzlich ernst geworden war. Seine Arbeit machte ihr schon seit Wochen Sorgen. Sie fand es merkwürdig, daß er nie darüber sprach, wenn sie ihn nicht danach fragte. Außerdem fand sie die Tatsache befremdlich, daß Michael sie nie tagsüber anrief und nie mit ihr zum Mittagessen ging. Rief sie ihn im Büro an, meldete sich eine Frau, die bereitwillig eine Nachricht für ihn entgegennahm, aber es war jedesmal eine andere Frau.
Manchmal dauerte es Stunden, bis er zurückrief. Und dann konnte er nie länger als ein paar Minuten mit ihr reden.
»Ich bin kein Unternehmensberater und bin nie einer gewesen«, begann er. »Ich arbeite bei der CIA. Aber ich konnte es dir nicht erzählen, bis ich mir sicher war, dich einweihen zu können. Du mußt verstehen, Elizabeth, daß ich dich nicht belügen oder gar verletze n wollte...«
Sie holte aus und schlug ihm ins Gesicht. »Du Dreckskerl!«
schrie sie so laut, daß ein Möwenschwarm vom Strand aufflatterte und übers Wasser davonflog. »Du verdammter Lügner! Morgen früh bringe ich dich zur Fähre. Du kannst mit dem Bus zurückfahren. Ich will dich nie wiedersehen. Scher dich zum Teufel, Michael Osbourne!«
Sie blieb am Strand, bis die Kälte sie ins Haus zurücktrieb.
Im Schlafzimmer brannte kein Licht. Sie ging hinein, ohne anzuklopfen, und fand ihn in der Dunkelheit auf dem Bett liegend. Sie zog sich schweigend aus und drängte sich gegen ihn. Er wollte etwas sagen, aber sie bedeckte seinen Mund mit ihren Lippen und murmelte: »Nein, nicht jetzt, reden verboten.«
Danach sagte sie: »Mir ist egal, wer du bist oder welchen Beruf du hast, Michael Osbourne.« Ihre Lippen glitten über seine Brust. »Ich liebe den Menschen, der da drinnen ist, und will dich nie
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