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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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des Lebens in der Zentrale nie.
    Sie arbeiteten gemeinsam in einem als »Baracke« bezeichneten einzigen Raum in Korridor F im fünften Stock. Er sah mehr wie der Nachrichtenraum einer abgewirtschafteten Großstadtzeitung aus als das Nervenzentrum der Terrorismusbekämpfung der CIA. Hier arbeitete Alan, ein gelehrt aussehender FBI-Buchhalter, der die geheimen Ströme schmutzigen Geldes durch die diskretesten und obskursten Banken der Welt verfolgte. Hier arbeitete Cynthia, ein flachsblonder Engel britischer Abstammung, der mehr über die IRA wußte als sonst jemand auf der Welt. In ihrem engen Glaskasten hingen Fotos grimmig dreinblickender irischer Guerillas, darunter auch des Jungen, dessen Rohrbombe ihrem Bruder eine Hand abgerissen hatte. Sie betrachtete sie tagsüber, wie ein junges Mädchen vielleicht das Poster des letzten Teenage rschwarms angestarrt hätte.
    Hier arbeitete auch Stephen alias Eurotrash, der den Auftrag hatte, die einzelnen nationalistischen und terroristischen Bewegungen in Westeuropa zu überwachen. Und hier arbeitete Blaze, ein baumlanger Gringo aus New Mexico, der Spanisch, Portugiesisch und mindestens zehn Indianerdialekte beherrschte.
    Blaze konzentrierte sich auf Guerillas und Terroristen in Mittel-und Südamerika. Trotz mehrfacher Abmahnungen durch die Personalabteilung trug er wie seine Zielgruppen Sandalen und weite Indianergewänder. Er hielt sich für einen zeitgenössischen Samurai, einen wahren Kriegerpoeten, und trainierte mit Cynthia Kampfsportarten, wenn sie gerade einmal wenig Arbeit hatten.
    Michael saß in einer Ecke neben Gigabyte, einem von Schuppen geplagten, pickeligen zweiundzwanzigjährigen Jüngling, der den ganzen Tag im Internet surfte und die virtuelle Welt nach Terroristen absuchte. Aus seinem Kopfhörer drang alternative Rockmusik, und Michael hatte auf seinem Bildschirm Dinge gesehen, die ihn mitten in der Nacht hochschrecken ließen. Als Sichtschutz errichtete er eine Barriere aus alten Akten, aber wenn Gigabyte kicherte oder seine Rockmusik plötzlich lauter wurde, wußte Michael, daß es am besten war, die Augen zu schließen und den Kopf auf die Schreibtischplatte zu legen.
    Die Wanduhr hing neben der einen Meter hohen Mannscheibe, die mit dem roten internationalen Symbol für Nein gestempelt war. Es war gleich acht Uhr abends, und Michael arbeitete seit fünf Uhr morgens. Die Baracke war keineswegs leer. In Peru hatte der Leuchtende Pfad einen Minister entführt, und Blaze ging telefonierend hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Die französische Action Directe hatte einen Bombenanschlag auf eine Pariser Metrostation verübt.
    Stephen hockte vor seinem Monitor und las die neuesten Meldungen mit. Die IRA hatte einen protestantischen Bauunternehmer vor den Augen seiner Frau und seiner Kindern ermordet. Cynthia telefonierte deswegen über eine abhörsichere Verbindung mit dem britischen MI5. Zum Glück war Gigabyte an diesem Abend mit seinen Freunden ausgegangen, die alle glaubten, er verdiene sich sein Geld als Designer von Homepages.
    Michael hatte noch eine Viertelstunde Zeit, bevor er der Exekutivdirektorin Bericht über den neuesten Stand der Dinge zu erstatten hatte. Das Bekennerschreiben zum Abschuß des Verkehrsflugzeugs war Langley vor einer Stunde übermittelt worden. Michael las es zum fünften mal durch. Er studierte den vorläufigen Bericht des FBI-Labors über die forensische Untersuchung des Boston Whaler, der an diesem Morgen vor Long Island gefunden worden war. Er betrachtete die Fotos der in dem Boot gefundenen Leiche.
    Noch zehn Minuten. Er konnte hinunterfahren und sich am »Schweinetrog« eine Kleinigkeit zu essen holen, oder er konnte Elizabeth anrufen. Aber er hatte ihren Arzttermin in Georgetown verpaßt, und sie würden sich voraussichtlich streiten. Das war kein Gespräch, das er über ein CIA-Telefon führen wollte. Er schaltete seinen Computer aus und verließ die »Baracke«.
    Der Flur war hell beleuchtet und still. Die Kunstkommission der Agency hatte versucht, den Gang durch eine Ausstellung indonesischer Volkskunst freundlicher zu gestalten, aber er war trotzdem kalt und steril wie eine Intensivstation. Michael ging zu den großen Aufzügen, fuhr in den Keller hinunter und lief durch einen weiteren anonymen Korridor zum »Schweinetrog«.
    Es war spät, und die Auswahl war noch schlechter als gewöhnlich. Michael ließ sich von der Frau, die mit müden, roten Augen hinter der Theke stand, ein Fischsandwich und eine Portion

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