Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Rückspiegel, um sich zu vergewissern, daß ihm niemand folgte. Er gab Gas; der Tacho kletterte auf siebzig Meilen. Der Jaguar bewältigte die sanft steigende und fallende Strecke fast geräuschlos. Links öffnete sich eine Lücke zwischen den Bäumen, und der Potomac glänzte im Mondschein. Einige Minuten später wurden die Türme von Georgetown sichtbar. Er nahm die Ausfahrt Key Bridge und überquerte den Fluß nach Washington hinein.
    Die M Street war menschenleer bis auf ein paar Obdachlose, die im Key Park tranken, und ein paar Studenten, die auf dem Gehsteig vor dem Kinkos diskutierten. Er bog nach links in die 33rd Street ab. Die hellen Lichter und Geschäfte der M Street blieben hinter ihm zurück. Zu ihrem Haus gehörte ein rückwärtiger Privatparkplatz, der über eine schmale Zufahrt zu erreichen war, aber Michael parkte seinen Wagen lieber gut sichtbar auf der Straße. Er bog nach links in die N Street ab, fand eine Parklücke und beobachtete dann aus alter Gewohnheit einige Augenblicke lang das Haus, bevor er den Motor abstellte.
    Er arbeitete gern als Führungsoffizier eine gelungene Anwerbung konnte befriedigend, rechtzeitig beschaffte Informationen konnten entscheidend sein -, aber dies war der Aspekt seines Jobs, der ihm nicht gefiel: die bohrende Sorge, die er jedesmal empfand, wenn er sein eigenes Haus betrat, weil er fürchten mußte, seine Feinde hätten sich schließlich doch gerächt.
    Michael hatte stets mit gewissem persönlichen Risiko gelebt, weil er im allgemeinen ohne amtliche Legende arbeitete. Das bedeutete, daß er im Gegensatz zu den meisten operativen CIA-Offizieren, die als Botschaftsangehörige diplomatische Immunität genossen, auf sich allein gestellt war. Da er in Dartmouth Betriebswirtschaft studiert hatte, gab er sich üblicherweise als international tätiger Unternehmensberater oder Firmenvertreter aus.
    Michael gefiel diese Arbeitsweise besser. Die meisten der von Botschaften aus operierenden Offiziere waren der anderen Seite bekannt. Das erschwerte ihre Spionagetätigkeit, vor allem wenn das Zielobjekt eine Terrororganisation war. Michael hatte die Botschaft nicht wie einen Mühlstein um den Hals hängen, aber er konnte auch nicht auf ihren Schutz hoffen. Geriet ein Offizier mit amtlicher Legende in Schwierigkeiten, konnte er sich immer in die Botschaft flüchten und diplomatische Immunität beanspruchen. Geriet Michael in Schwierigkeiten, weil eine Anwerbung mißlang oder die Spionageabwehr der anderen Seite ihn enttarnte, drohte ihm eine Haftstrafe oder Schlimmeres.
    Nach all den Jahren in der Zentrale hatte die Angst sich allmählich gelegt, ohne jedoch wirklich verschwunden zu sein.
    Seine größte Sorge war, seine Feinde könnten sich an dem Menschen vergreifen, den er am meisten liebte. Das hatten sie schon einmal getan.
    Er stieg aus, sperrte den Jaguar ab und schaltete die Alarmanlage ein. Dann ging er zur 34th Street, sah sich jeden geparkten Wagen an und kontrollierte die innen an der Windschutzscheibe angebrachten Aufkleber. An der 34th Street überquerte er die Fahrbahn und setzte die Kontrolle auf der anderen Straßenseite fort.
    Eine geschwungene Backsteintreppe führte vom Gehsteig zum Eingang ihres großen Hauses im Kolonialstil hinauf. Früher hatte Michael fast ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er hier in Georgetown in einer Villa für zwei Millionen Dollar lebte; die meisten seiner Kollegen wohnten in der Nähe der Zentrale in weniger teuren Vororten in Virginia. Sie neckten ihn immer wieder mit seiner Luxusvilla und seinem Jaguar und fragten sich laut, ob Michael es wie Rick Ames mache und Geheimnisse für Geld verrate. Die Wahrheit war viel prosaischer: Elizabeth verdiente bei Braxton, Allworth & Kettlemen eine halbe Million im Jahr, und Michael hatte von seiner Mutter eine Million Dollar geerbt.
    Er sperrte die Eingangstür auf: erst das Schloß, dann den Sicherungsriegel. Die Alarmanlage zirpte leise, als er ins Haus trat. Er schloß leise die Tür, sperrte wieder ab und schaltete die Alarmanlage aus. Dann ging er in die Küche, ließ seinen Aktenkoffer auf der Eßtheke liegen, nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und trank es mit dem ersten Schluck halb aus. In der Luft hing schwacher Rauchgeruch. Elizabeth hatte geraucht, was ein schlechtes Zeichen war. Sie hatte vor zehn Jahren das Rauchen aufgegeben, rauchte aber, wenn sie wütend oder nervös war. Ihr Arzttermin mußte unerfreulich gewesen sein. Michael kam sich wie ein Schuft vor, weil er nicht

Weitere Kostenlose Bücher