Der Maler
knappsitzende Fleecehose und dazu einen Rollkragenpullover unter einem neongrünen Anorak, eng genug, um nicht im Wind zu flattern, aber weit genug, um die sperrige 9mm-Glock-Automatic unter seiner linken Achsel zu verbergen. Trotz seiner mehrlagigen Kleidung schnitt die salzhaltige Luft ihm tief ins Fleisch. Delaroche hielt den Kopf tief gesenkt und strampelte schneller zur Landspitze hinunter.
Die Landstraße verlief ein Stück eben, als er an den von Wind und Wetter zernagten Ruinen eines Benediktinerklosters aus dem zehnten Jahrhundert vorbeikam. Er strampelte einige Kilometer weit zügig gegen den steifen Seewind von Norden an, während die Straße sich dem Gelände folgend rhythmisch hob und senkte. Sein leichtes Rennrad bewährte sich auch bei diesen widrigen Gelände-und Wetterbedingungen. Vor ihm ragte ein steiler Hügel auf. Er schaltete in den nächsten Gang und trat kräftiger in die Pedale. Dann hatte er den Hügel überwunden und fuhr in das Fischerdorf Lanildut ein.
Im Café kaufte er zwei Croissants und füllte seine Flaschen nach: die eine mit Orangensaft, die andere mit dampfendem Milchkaffee. Die Croissants verschlang Delaroche auf der Weiterfahrt. Er kam an der Presqu'ile de Sainte Marguerite vorbei, einem in den Atlantik hinausragenden Felsenfinger mit einigen der herrlichsten Küstenabschnitte Europas. Dann folgte die Cóte d'Aber, die Küste der Flußmündungen, ein langer, flacher Streckenabschnitt mit zahlreichen Flüssen, die sich aus dem Hochland des Finistère kommend ins Meer ergossen.
Er spürte die ersten Anzeichen von Müdigkeit in den Beinen, als er in Brignogan-Plages einfuhr. Jenseits des Dorfs, über einen schmalen Fußweg erreichbar, lag ein schneeweißer Sandstrand. Eine unbehauene vorgeschichtliche Steinsäule, im Bretonischen als Menhir bezeichnet, stand wie ein Wächter am Anfang des Weges. Delaroche stieg ab, schob sein Rad und trank den Rest seines Milchkaffees. Am Strand lehnte er das Rad an einen Felsblock und ging eine Zigarette rauchend die Brandungslinie entlang.
Der Signalplatz war ein großer Felsen etwa zweihundert Meter von der Stelle entfernt, wo er das Rad zurückgelassen hatte. Delaroche ging langsam, scheinbar ziellos, und beobachtete, wie die Wogen sich am Strand brachen. Eine besonders große kam weiter über den Strand herauf als die anderen, aber er wich dem eiskalten Wasser geschickt aus. Als seine Zigarette zu Ende geraucht war, warf er den Stummel weg und drückte ihn mit der Fußspitze in den weißen Sand, bis er verschwunden war.
Er erreichte den Felsen und ging davor in die Hocke. Das Zeichen war da: zwei knochenweiße Pflasterstreifen, die ein X bildeten. Jeder Profi hätte vermutet, der Unbekannte, der dieses Zeichen hinterlassen hatte, müsse vom KGB ausgebildet worden sein, was tatsächlich stimmte.
Delaroche riß die Pflasterstreifen ab, drückte sie zu einer kleinen Kugel zusammen und warf sie in die Ginsterbüsche, die den Strand zum Land hin begrenzten. Er ging zu seinem Rad zurück und radelte bei strahlendem Sonnenschein heim nach Breies.
Mittags war das Wetter noch immer schön, deshalb beschloß Delaroche zu malen.
Er zog Jeans und einen dicken Wollpullover an und lud die Sachen in den Mercedes: seine Staffelei, zwei Sperrholzplatten mit aufgezogenem Papier, den Malkasten und seine Palette.
Dann kochte er Kaffee und füllte ihn in eine Thermosflasche mit mattglänzender Stahlhülle. Aus dem Kühlschrank nahm er noch zwei Flaschen Beck's Bier mit. Er fuhr ins Dorf und parkte vor der Charcuterie. Drinnen kaufte er Schinken, Käse und eine Scheibe bretonischer Leberpastete, wobei Mlle. Plauché
schamlos mit ihm flirtete. Er verließ den Laden, vom Bimmeln des Glöckchens an der Eingangstür begleitet, und ging in die Boulangerie nebenan, um ein Baguette zu kaufen.
Als er landeinwärts fuhr, ging die karge Felslandschaft der Küste in die sanften, bewaldeten Hügel des Hochlands des Finistère über. Er bog auf eine nicht bezeichnete kleine Nebenstraße ab und folgte ihr ungefähr drei Kilometer, bis sie in einen tief ausgefahrenen Feldweg überging. Der Mercedes schlingerte wild, aber nach einigen Minuten hatte er sein Ziel erreicht: eine malerische alte Ferme - siebzehntes Jahrhundert, schätzte er - vor prachtvoller Baumkulisse in rotgoldener Herbstfärbung.
Delaroche tat die meisten Dinge langsam und sorgfältig, und seine Malvorbereitungen liefen nicht anders ab. Während er methodisch seine Sachen aus dem Auto holte,
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