Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
begutachtete er das alte Gehöft. Das Herbstlicht ließ alle Kontraste im Mauerwerk des Hauses und in den Bäumen dahinter scharf hervortreten. Dieses Licht auf Papier zu bringen würde eine Herausforderung sein.
    Delaroche aß ein Sandwich und trank eine halbe Flasche Bier, während er die Szene aus wechselnden Perspektiven studierte.
    Er fand die richtige Stelle und machte ein halbes Dutzend Aufnahmen mit einer Polaroidkamera: drei in Farbe, drei in Schwarzweiß. Der Hausbesitzer trat aus der Tür, ein stämmiger kleiner Mann mit einem schwarz-weißen Hund, der ihn umkreiste. Als Delaroche ihm zurief, er sei Maler, winkte der Mann begeistert. Fünf Minuten später brachte er Delaroche ein Glas Wein und einen Teller mit Käse und dicken Scheiben scharf gewürzter Wurst. Er trug eine geflickte Jacke, die aussah, als habe er sie vor dem Krieg gekauft. Sein Hund, der nur drei Beine hatte, bettelte Delaroche um Wurst an.
    Als die beiden wieder gegangen waren, setzte Delaroche sich an seine Staffelei. Er studierte die Polaroidbilder, erst die Schwarzweißaufnahmen, um die Umrisse und Linien des Bildes zu erfassen, danach die Farbaufnahmen. Er machte zwanzig Minuten lang Skizzen mit Kohlestift, bis der Bildaufbau zu stimmen schien. Delaroche arbeitete mit einer sparsamen Palette - Karminrot, Kobaltblau, Hookersgrün, Kadmiumgelb, Siena gebrannt - auf starkem Papier, das er auf eine Sperrholzplatte aufgezogen hatte.
    Fast eine Stunde verging, bevor er wieder an die Nachricht am Strand in Brignogan-Plages dachte. Sie war ein Ruf, eine Aufforderung, sich morgen vormittag in Roscoff an der Pier mit Arbatow zu treffen. Arbatow war Delaroches KGB-Führungsoffizier gewesen. Er hatte zwanzig Jahre lang ausschließlich mit Arbatow zusammengearbeitet. Als Arbatow dann älter und langsamer geworden war, hatte die Moskauer Zentrale einmal versucht, ihn durch einen jüngeren Mann namens Karpow zu ersetzen. Aber Delaroche hatte jegliche Zusammenarbeit mit Karpow verweigert und gedroht, ihn in einer Holzkiste nach Moskau zurückzuschicken, wenn Arbatow nicht wieder als sein Führungsoffizier eingesetzt werde.
    Eine Woche später hatten Arbatow und Delaroche in Salzburg Wiedersehen gefeiert. Zur Strafe für die Betonköpfe in der Moskauer Zentrale hatten die beiden sich ein Festmahl mit Kalbsschnitzel und drei Flaschen teurem Bordeaux gegönnt.
    Delaroche hatte sich nicht aus Liebe oder Loyalität für Arbatow eingesetzt; er liebte keinen Menschen und war nur gegenüber seiner Kunst und seinem Beruf loyal. Er wollte, daß Arbatow ihn weiterhin betreute, weil er sonst niemandem traute. Er hatte zwanzig Jahre lang auch deshalb überlebt, ohne verhaftet oder getötet zu werden, weil Arbatow gute Arbeit geleistet hatte.
    Während er die idyllische Szene malte, dachte er ernstlich daran, Arbatows Aufforderung zu ignorieren. Arbatow und er arbeiteten nicht mehr für den KGB, weil es keinen KGB mehr gab und der FSB Männer wie sie nicht übernommen hatte. Als die Sowjetunion zusammenbrach und der KGB aufgelöst wurde, waren Arbatow und Delaroche plötzlich auf sich allein gestellt.

    Sie blieben im Westen - Arbatow in Paris, Delaroche in Breies - und machten sich gemeinsam selbständig. Arbatow fungierte gewissermaßen als Delaroches Agent. Hatte jemand einen Auftrag, ging er damit zu Arbatow. Billigte Arbatow ihn, legte er ihn Delaroche vor. Für seine Dienste war Arbatow an dem beträchtlichen Honorar beteiligt, das Delaroche auf dem freien Markt fordern konnte.
    Delaroche hatte schon so viel verdient, daß er überlegte, aus diesem Geschäft auszusteigen. Sein letzter Auftrag lag über einen Monat zurück, und das erstemal langweilte er sich nicht, war nicht vor Untätigkeit ruhelos. Bei diesem Job hatte er eine Million Dollar verdient, mit denen er in Breies bis ans Ende seiner Tage behaglich leben konnte, aber auch einen Knacks davongetragen. In seiner langjährigen Tätigkeit als Berufskiller hatte für Delaroche stets nur ein einziges Gebot gegolten: Er mordete keine Unschuldigen. Der Anschlag auf das Verkehrsflugzeug vor Long Island war ein Verstoß gegen dieses Gebot gewesen.
    Er hatte die Stinger nicht selbst abgefeuert, aber er hatte bei diesem Unternehmen eine Hauptrolle gespielt. Er hatte den Auftrag gehabt, den Palästinenser in Schußposition zu bringen, ihn nach dem Anschlag zu töten und dann die Jacht zu versenken, bevor er selbst von einem Hubschrauber auf See geborgen wurde. Für die tadellose Durchführung des Auftrags

Weitere Kostenlose Bücher