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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Michael erklärte Max, er werde sie in New York anrufen, und legte auf.
    Michael war erleichtert, daß Elizabeth nicht dagewesen war.
    Er hatte nicht die geringste Lust, ein Gespräch dieser Art über eine ständig überwachte Botschaftsleitung zu führen.. Er ging in Wheatons Büro und traf ihn mit seinem Golfball spielend und einer Dunhill zwischen seinen blutlosen Lippen am Schreibtisch sitzend an.
    »Meine Reisetasche ist wohl in Heathrow geblieben«, sagte Michael. »Vor Ladenschluß muß ich noch ein paar Einkäufe machen. Dann fahre ich ins Hotel und versuche etwas zu schlafen.«
    »Nein, das tun Sie nicht«, antwortete Wheaton sehr von oben herab. Ihm hatte von Anfang an nicht gefallen, daß Michael in seinem Gebiet operierte, und daß Michael jetzt der Star des Tages war, trug keineswegs dazu bei, ihn milder zu stimmen.
    »Carter will, daß wir Sie irgendwo hübsch und sicher unterbringen. Wir haben eine sichere Wohnung in der Nähe des Bahnhofs Paddington. Dort haben Sie's bestimmt gemütlich.«
    Michael stöhnte innerlich. Sichere CIA-Wohnungen waren das geheimdienstliche Gegenstück zur Econo Lodge. Das Apartment in der Nähe des Bahnhofs Paddington kannte er, weil er dort schon mehrmals verängstigte Agenten untergebracht hatte. Er hatte nicht die geringste Lust, dort zu übernachten.
    Aber er wußte, daß das nicht zu ändern war. Er würde sich gegen Carters Wunsch mit Mohammed Awad treffen und wollte Adrian nicht noch mehr gegen sich aufbringen, indem er meckerte, weil er dieses eine Mal in einer sicheren Wohnung übernachten sollte.
    »Ich brauche trotzdem ein paar Sachen«, sagte Michael.
    »Schreiben Sie eine Liste, dann schicke ich jemanden los.«
    »Ich brauche frische Luft. Ich will etwas tun. Muß ich die nächsten zwölf Stunden, in einer sicheren Wohnung eingesperrt, bloß mit englischem Fernsehen verbringen, kriege ich einen Lagerkoller!«
    Wheaton nahm sichtlich irritiert den Hörer seines internen Telefons ab und murmelte ein paar unverständliche Worte hinein. Wenig später standen zwei CIA-Offiziere in hellgrauen Anzügen in der Tür seines Dienstzimmers.
    »Gentlemen, Mr. Osbourne möchte den Nachmittag bei Harrods verbringen. Sorgen Sie dafür, daß ihm nichts zustößt.«
    »Warum geben Sie mir nicht gleich zwei Marineinfanteristen in Uniform mit?« fragte Michael. »Außerdem genügt mir Marks and Spencer völlig.«
    Sie fuhren mit dem Taxi zur Oxford Street, ein CIA-Offizier neben Michael auf dem Rücksitz, der andere auf den Notsitz gequetscht. Bei Marks & Spencer kaufte Michael zwei Cordsamthosen, zwei Rollkragenpullover aus Baumwolle, einen grauen Wollpullover, einen dunkelgrünen Mantel, Unterwäsche und Socken. Seine Aufpasser schlenderten hinter ihm her und betrachteten die Pulloverstapel und Anzugständer wie zwei Kommunisten auf ihrer ersten Reise in den kapitalistischen Westen. In einer Drogerie erstand er Rasierzeug, Zahnbürste, Zahncreme und Deodorant. Er wollte sich Bewegung verschaffen, deshalb machte er auf der Oxford Street einen Schaufensterbummel wie ein gelangweilter Geschäftsmann, der Zeit totschlagen will, und achtete instinktiv darauf, ob er beschattet wurde. Aber er sah nur die beiden CIA-Offiziere, die ungefähr zwanzig Meter Abstand hielten.
    Leichter Regen setzte ein. Die Abenddämmerung sank wie ein Schleier herab. Michael bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmassen, die aus dem U-Bahnhof Tottenham Court Road kamen. Ein Spätherbstabend in London; Michael liebte diese Gerüche. Regen auf dem Asphalt. Dieselqualm. Schlechte Kochgerüche in den Restaurants der Charing Cross Road. Bier und Zigaretten in den Pubs. Michael erinnerte sich an solche Abende, an denen er in einem blauen Anzug und dem beigen Mantel eines Handelsvertreters sein Büro verlassen hatte und nach Soho gefahren war, um Sarah zu treffen. Im Café oder der Weinbar, von Tänzern, Schauspielern oder Schriftstellern umringt. In ihrer Welt war Michael ein Außenseiter - ein Symbol aller Konventionen, die sie verabscheuten -, aber Sarah konzentrierte sich auch in ihrer Gegenwart nur auf Michael. Sie scherte sich nicht um die Liebeskonventionen ihres Clans. Sie hielt seine Hand. Sie küßte ihn. Sie tauschte geflüsterte Intimitäten mit ihm aus, die sie sich laut zu wiederholen weigerte.
    Während er die Shaftesbury Avenue überquerte, fragte Michael sich, wieviel davon echt und wieviel gespielt gewesen war. Hatte sie ihn jemals geliebt? Hatte sie ihm immer etwas vorgespielt? Warum hatte sie

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