Der Mann auf dem blauen Fahrrad
dass man ihn ins Herrenzimmer bat? War er jetzt eine Art Herr geworden? Ihm kam in den Sinn, dass noch niemand gefragt hatte, wer er war, und er hatte auch nicht versucht zu erklären, was er wollte, warum er hierhergekommen war und mit welchem Anliegen. Und was wollte er? Ein Küchengerät verkaufen? Kiessplitter aus einer wunden Handfläche spülen? Und wieder verfluchte Janne Friberg seine Bescheidenheit, seinen Mangel an Selbstbewusstsein, diese ganze verdammte Zurückhaltung, die ihm seine freireligiöse Mutter eingetrichtert hatte.
Sollte er es also als Fortschritt werten? Vielleicht war er ja wirklich ein Herr? Jedoch nicht der Lage.
– Treten Sie ruhig ein. Die Frau des Hauses wird schon kommen. Wenn sie kommt. Sie hat viel zu tun. In dieser Situation.
– Natürlich. Danke. Ich verstehe, dass es viel zu tun gibt.
– Wir müssen ja den Leichenschmaus vorbereiten. Es werden Verwandte erwartet.
Was war das für ein Haushalt, in dem man Beerdigungen für jemanden vorbereitete, der noch am Leben war? Und was sollte das mit den Preiselbeeren? Was sie um Gottes willen mit dem Leichenschmaus meinte, war Janne Friberg gänzlich unverständlich. Und die Preiselbeerbirnen? Ist das der Duft des Lebens, wenn man sich so weit davon entfernt hat? Am Horizont des Lebens steht. Der Duft von Preiselbeerbirnen? Reichte der Duft von Preiselbeerbirnen von allen Düften am weitesten hinaus zum Horizont, hin zum Unbekannten? Vielleicht war die alte Dame, die so unsanft in die dunkle Kammer zurückgezogen worden war, keine Lebende, sondern ein Gespenst? Oder war jemand anders gestorben? Was, wenn man möglicherweise die Toten mit den wohlbekannten Düften des Lebens herbeirufen konnte! Welcher Duft würde ihn selbst ins Leben zurückziehen können?
Er wusste es. Es war der Duft von frisch erblühtem Flieder. Ja, Fliederduft musste es sein.
Dann öffnete sich also der nächste Raum für Jan V. Friberg vom Svenska Electrolux Försäljningsaktiebolag.
Der Raum mit den Kronleuchtern
M ittlerweile müde, verfroren und insgesamt verwirrt, fiel Jan Viktor nichts Besseres ein, als ein paar Schritte in diesen angenehm warmen Raum hinein zu tun. Also machte er genau das.
Der Raum war spärlich beleuchtet. Die Kronleuchter, mindestens zwei, die man oben im Halbdunkel an der Decke ahnen konnte, waren gelöscht. Das einzige Licht kam von einer Leselampe, die neben einem soliden, offenbar sehr bequemen Ledersessel plaziert war. Es gab sogar einen Fußschemel, mit demselben Leder überzogen, und einen kleinen Beistelltisch daneben. Auf ihm ein Stapel Bücher, der die gesamte Tischplatte bedeckte. Oder, falls es keine Bücher waren, was war es dann? Das leise Knistern von einem Feuer hinter den Kachelofenluken zeugte davon, dass das Zimmer tatsächlich kürzlich von einem oder mehreren Menschen genutzt worden war.
Nach den sonderbaren Erlebnissen der letzten halben Stunde hatte er das Gefühl, schon stundenlang hier zu sein. Geschah etwas mit der Zeit? Oder mit seiner Vorstellung davon? Er hätte sehr gern gewusst, wohin die sterbende alte Dame verschwunden war. Wo mochte sie sich in diesem Moment befinden? Vielleicht war sie mittlerweile fertig mit dem Sterben? Das wäre wohl das Einfachste. Aber wie immer es nun stand, er konnte kaum etwas daran ändern. Dass sie wirklich war und keine Erscheinung, die nur um seinetwillen gekommen war, musste er wohl doch annehmen.
Dieser Teppich war weich, und er sank mit den Füßen ein. Einen solchen Teppich, dachte er, hätte ich selbst gern. Mit etwas so Weichem unter den Füßen würde man sich zu Hause viel heimischer fühlen.
Es war nicht hell genug, um wirklich sehen zu können, was für eine Art Teppich das war. Vermutlich orientalisch, sagte er sich. Ohne wirklich sicher zu sein, wie ein Teppich aussehen musste, damit er orientalisch war. Dieser Raum war in der Tat ein richtiger Herrenhaussalon. Nicht riesig, aber groß genug, um zu imponieren. Die hohen Fenster zum Park hinaus sollten dieses Zimmer bei Tageslicht – oder, sagen wir, in einer traumhaften Juninacht, wenn der leichte Sonnenaufgangswind einen weißen Vorhang an einem versehentlich offen gelassenen Fenster in eine tanzende Bewegung versetzte – zu einem sehr hellen und nahezu heiteren Raum machen können. Bei Tageslicht und schönem Wetter. Aber so war es jetzt nicht. Die Fenster waren dunkle, leere Spiegel, die hin und wieder leicht zitterten, wenn die heftigsten Windböen daran rüttelten. Offenbar waren die
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