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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Innenfenster noch nicht wieder angebracht worden, seit man sie für den Sommer herausgenommen hatte.
    In Situationen wie diesen hatte Janne seit jeher die Gewohnheit, seine Besitztümer durchzugehen, als könnte ihm das helfen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Eine Art Bestandsaufnahme, könnte man sagen. Die Fahrradklammern spannten sich noch immer um die Hosenbeine, die fürchterlich bekleckert und lehmig waren. Er nahm sie vorsichtig ab und versuchte sie in der Brusttasche zu verstauen. Nur um zu entdecken, dass seine braune Rückfahrkarte Västerås–Kolbäck sich dort befand, wo sie sein sollte. Nach allem, was geschehen war, ein wenig zerknittert und zerfranst, aber sie war da. Als Garantie dafür, dass es einen Rückweg geben würde, war sie möglicherweise nicht sehr viel wert, da er keine Ahnung hatte, wie er mit diesen schmerzenden Handgelenken zum Bahnhof würde gelangen können. Im linken brannte es, als würde es sich in einem besonders scheußlichen Zustand befinden – trotzdem hatte die Fahrkarte so etwas wie symbolischen Wert. Die Brieftasche steckte an ihrem Platz, und darin war alles, was dort sein sollte. Ein graubrauner Fünfzigkronenschein und ein grauer Zehner, der Führerschein in seinem braunen Lederfutteral mit Foto und Geburtsdatum, ebenso die Mitgliedskarte der Kooperativa und sein Ausweis von Electrolux. Außerdem zwei Fotografien. Die eine mochte er nicht mehr so gern ansehen. Der Anblick der anderen machte ihn niedergeschlagen.
    Sorgfältig verstaute er die Brieftasche wieder in der Gesäßtasche, nahm die Uhr der Marke Hermes ab und zog sie vorsichtig auf. Auch sie hatte bei dem Sturz keinen Schaden erlitten, möglicherweise war ein weiterer Kratzer im Glas. Aber das machte nichts. Da waren schon so viele Kratzer. Er hielt die Uhr unter die Leselampe und schaute mit gerunzelter Stirn nach, was sie zu berichten hatte. Es war schon unangenehm spät. Und Janne Friberg hatte keine Ahnung, was als nächstes geschehen würde.
    Es klapperte, als der Wind an den hohen Fenstern rüttelte. Vielleicht war es ein Ast, der anklopfte und hereinwollte. Und wieder fiel ihm auf, dass niemand die Gelegenheit oder Kraft gehabt hatte, die Innenfenster anzubringen.
    Die alte Dame hatte sich vielleicht sehr viel Zeit zum Sterben genommen. In solchen Situationen hatten es die übrigen Familienmitglieder vermutlich nicht geschafft, Innenfenster hin oder her zu heben. Janne kam der Gedanke, dass er bisher nur die Leute in der Küche gesehen hatte und nur sie ihm ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Es lässt sich nicht leugnen, dass er allmählich wirklich neugierig war, wer dieses Herrenhaus besaß. War nicht von einem Forstmeister die Rede gewesen? Oder hatte er sich das nur eingebildet?
    Die Fenster waren hoch, es war sicher nicht ganz leicht, die Innenfenster einzusetzen und herauszunehmen. Bestimmt waren sie schwer. Hin und wieder schlug ein heftiger Regenschauer gegen die Scheiben. Die bemalten Kacheln auf dem viereckigen Ofen, nannte man sie nicht Majolika? Auf dem Kaminsims drängelten sich ein paar niedliche Porzellanfiguren. »Königl. Dänisch«, stand auf dem Boden dieser Schäfer und Schäferinnen, die Janne vorsichtig umdrehte.
    Er fühlte sich plötzlich allzu müde, um zu stehen oder zu gehen, und ließ sich zögernd auf dem Sessel nieder. Der war bequemer, als er angenommen hatte. Eigentlich war das ein sehr gemütlicher Raum. Der Wind da draußen und das Geplauder der Kachelofenluken, all das machte ihn schläfrig.
    Aber das war doch wohl nicht der richtige Augenblick, um einzuschlafen? Ohne sich mit seinem Anliegen vorgestellt zu haben, in einem fremden Haus, einem Totenhaus sogar? Was sollte der Forstmeister denken, wenn er ihn schnarchend in seinem eigenen Wohnzimmer vorfand? Das wohl Herrenzimmer hieß, da es zu einem Herrenhaus gehörte. Wer war dieser Forstmeister überhaupt?
    In einer Ecke stand ein schwarzer und abweisend feierlich wirkender Steinway-Flügel. Ein grünes Tuch schützte den Lack des Deckels. Darauf waren zwei solide Kerzenhalter plaziert, deren weiße Stearinkerzen anscheinend zuletzt vor langer Zeit nur kurz angezündet worden waren. Zwischen den Silberleuchtern stand eine kleine Glasglocke, die offenbar einen wertvollen Gegenstand schützte. Janne beugte sich vor, nur um festzustellen, dass es eine silberne Taschenuhr war. Möglicherweise sehr alt, eines dieser Modelle, die mit einem speziellen kleinen Schlüssel aufgezogen werden. Und der Schlüssel lag neben dem

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