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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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seine verdammte schwere Demonstrationstasche in Fahrt brachte?
    Er war in seinen Überlegungen gerade so weit gediehen, als das rundlichste und rotwangigste der Mädchen ihm ganz still, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, einen Eimer mit Zimtbirnen und ein kurzes Messer reichte. Es war offensichtlich, dass von ihm erwartet wurde, einen Beitrag zu leisten, wenn er hier sitzen blieb.
    Nun waren Zimtbirnen etwas, das er schon von früher Kindheit an kannte und liebte. Sie wuchsen ja im Garten hinter der Werkstatt des strengen Klempners im Knektbacken.
    Also schälte er eine Weile. Aufgrund einer allgemeinen Erschöpfung und weil es absolut nichts anderes zu tun gab. Mit dem kleinen scharfen Messer ging es ziemlich leicht. Die Schalen der Birnen ringelten sich und bildeten lustige kleine Ketten aus rotbraunen Zimtbirnenschalen. Die tatsächlich nach Zimt dufteten. Er überlegte, ob es möglicherweise in Ordnung wäre, wenn er sie probierte.
    Er tat es und stellte fest, dass er sehr hungrig war. Hatte jemand etwas bemerkt? Vorsichtig nahm er noch eine.
    – Das tut man nicht, bemerkte die Köchin mit gedämpfter, aber sehr entschiedener Stimme, mehr war hier offenbar nicht erlaubt.
    Janne sah ein, dass er in eine Situation geraten war, eine ziemlich unnötige, muss man wohl sagen, um die er nicht gebeten hatte. Aber jetzt geschah offensichtlich etwas. Eine Tür wurde sehr langsam geöffnet, mit einem unangenehm quietschenden Geräusch, das davon zeugte, dass sich schon seit langem niemand die Mühe gemacht hatte, ihre soliden Angeln zu ölen.
    Das Haus, oder jedenfalls seine Küche, schien eine Unzahl von Türen zu besitzen, geschickt eingefügt unter Regalen, in Ecken oder ganz unverstellt in einer Wand, die im übrigen mit Töpfen vollgehängt war.
    Es gab also die Tür, durch die er gekommen war, die von der Halle aus hereinführte. Neben vielen anderen Türen. Offenbar war diese Küche mit all ihren Dämpfen, Düften, Herden, Töpfen und Pfannen und ihren Kupferkesseln in Regalen entlang der Wände eine Art Zentrum des Hauses.
    Aber diese spezielle schmale Tür hatte Janne erst jetzt bemerkt. Sie war schwer zu öffnen und quietschte, ein Quietschen, das für einen Moment das Geräusch des zunehmenden Windes in den Bäumen vor dem Fenster übertönte.
    Es war schwer zu sagen, wann sie gekommen war. Aber da stand jetzt, lautlos aus dem unerforschten Inneren des Hauses aufgetaucht, eine gespenstisch magere, anscheinend uralte, dünnhaarige Frau, in ein weißes Nachthemd gekleidet, das um die nackten Füße herum noch Spuren von Spitzen zeigte. Es musste einmal ein feines Nachthemd gewesen sein. Das Gesicht der Frau war leichenblass, und magerer konnte man sich ein Gesicht kaum vorstellen. Die Augen, groß, blau und starr, als hätte sie irgendwann einen leichten Schlaganfall erlitten, stierten eigentümlich unbeweglich in den Raum. Es waren Augen, die das meiste gesehen hatten, dachte Janne. Vielleicht auch das Schlimmste?
    Janne zweifelte keinen Moment. Die sterbende Frau und niemand anders als sie selbst hatte sich wie durch ein Wunder mitten im Sterben unterbrochen. Sie war eine Besucherin in ihrem eigenen Haus.
    Und mit einer schwachen, aber sehr deutlichen Stimme rief diese Wiedergängerin in den Raum hinein, so durchdringend, dass sie das Geräusch des Sturms draußen und das Klappern der Ofenluken und der Topfdeckel auf herzhaften Gerichten übertönte: – Preiselbeerbirnen!
    Sie sagte es mit lauter und deutlicher Stimme. Und wiederholte es gleich noch einmal, aber jetzt mit bedeutend schwächerer Stimme, als hätte sie den Gedanken schon verworfen: – Nein, aber sind das … Preiselbeerbirnen?
    Das letzte Wort sagte sie hingegen mit einer für eine Sterbende überraschend lauten Stimme. Als wollte sie es beweisen.
    Und ein unendlich schwaches, aber doch erkennbares Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. In diesem Augenblick erschien sie wie eine Grenzgängerin, die unterwegs von einer Welt zu einer anderen diese Küche mit einem kurzen Besuch beehrt hatte. Sie gehörte bereits einer anderen Welt an. Aber sie war offenbar im letzten Augenblick umgekehrt, um etwas zu holen, was sie vergessen hatte. Erstaunen und ein sanftes Glück schienen wie leichte Juniwolken über die gefurchte Landschaft zu ziehen, die einmal ihr Gesicht gewesen war.
    War das also der Grund dafür, dass sich alle hier so still verhalten hatten? Sie wollten die alte Frau nicht beim Sterben stören. Und jetzt steht sie trotzdem

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