Der Mann auf dem blauen Fahrrad
wurden?
Es gab keinen Grund dafür, dass hier ein Porträt von Janne Friberg stehen sollte. Außerdem musste der Herr auf dem Foto sehr viel älter sein. Wenn er nun überhaupt noch am Leben war.
Hatten Müdigkeit und Schmerzen ihn schon bis zu dem Grad mitgenommen, dass er sich Dinge einbildete? Etwas beunruhigt stellte er das Foto zurück und machte eine weitere Runde durch den Raum. Die Porzellanvase auf dem Flügeldeckel strengte sich weiterhin an, nicht ohne Erfolg, chinesisch zu wirken. Ein Glasschrank an der hinteren Wand erregte Jannes Aufmerksamkeit. Er schien eine Reihe kleiner Figuren zu enthalten, die in der schwachen Beleuchtung nur schemenhaft hervortraten. Vielleicht waren es asiatische Heilige oder Götterbilder. Wie hießen diese kleinen Götter? Es gab bestimmt eine Menge von ihnen, die er nicht kannte. Shiva, Vishnu mit all den Armen, Ganesha mit dem Elefantenkopf kannte er. Aber es gab andere, von denen er keine Ahnung hatte. Diese heidnischen Götter hatten etwas Beunruhigendes. Wenn es sie wirklich gäbe … wie sollte man dann wissen, wie man sich mit allen gutstellen kann?
Die Erzählung des Kanalschiffers
D as fremde Mädchen ging mit entschlossenen Schritten, ohne ein Zögern, so als wisse sie, wohin sie unterwegs war. An der Spitze aber lief der Hund, der sie beide auf diese Weise führte. Sie bewegten sich jetzt schneller voran. Der Weg fiel zum Kanal hinunter ab und lag unter einem grünen Dach, das frisch ausgeschlagene Eichen und hellgrüne Linden bildeten, die wie große Musikinstrumente von Tausenden in ihren Kronen verborgenen Insekten summten. So viele Düfte, so viel Vogelleben in den Bäumen. Und, dachte das Mädchen, wie viele Vögel es gibt, deren Name ich nie gelernt habe!
Unten beim Kanal am gepflasterten Kai an der Schleuse lag ein einsames Schiff vertäut, eine dieser hochmastigen – ja man könnte sagen übertakelten – Erzkoggen, die gewöhnlich Eisenerz und Roheisen den ganzen langen Weg von den Gruben und Hüttenwerken oben bei den Seen, dem Barken und dem Åmänningen, hinunter zu den Verschiffungshäfen des Mälaren brachten. Von der Ladung waren aber nur ein paar Tonnen oben auf Deck zu sehen. Vielleicht war der Frachter auf dem Weg nach Norden? Warum lag er hier vor Anker? Hier konnte er kaum eine Ladung aufnehmen.
Er konnte auch nicht auf das Schleusen warten. Gott weiß, worauf er wartete. Und der Schiffer steht mit dem Rücken zum Mast. Aus der Ferne wirkte es fast so, als hätte ihn jemand daran festgebunden. Aber so schlimm konnte es ja nicht sein. Wer sollte sich einen so gemeinen Jungenstreich ausdenken! Es ist nur eine Sinnestäuschung. Aber aus dieser Entfernung sieht es tatsächlich so aus, als lausche er aufmerksam auf etwas.
– Worauf horcht er? Ich kann nichts Besonderes hören.
– Ich höre gar nichts.
– Kennst du ihn?
– Ja, natürlich. Er ist doch mein Onkel, der Schiffer der Färna II . Also der Bruder meines ersten Vaters.
– Hast du zwei Väter?
– Ich habe jetzt einen neuen. Mein erster Vater war ziemlich sonderbar. Der Schiffer ist auch nicht ganz gewöhnlich.
– Was hat er in den Tonnen?
– Rote Falu-Farbe. Oder etwas anderes. So eine Erzkogge kann mehr Ladung aufnehmen, als du denkst.
– Woher weißt du das?
– Ich bin mit ihm gesegelt. Viele Male. Den ganzen langen Weg hinauf zum Barken und wieder zurück. Die gesamte Strecke vom Hüttenwerk oben im Wald, von Färna und Trummelsberg bis nach Västerås. Durch den Hochwald, wo man beinahe auf allen Flüssen und Bächen segeln kann, und hinaus auf die großen Seen Barken und Åmänningen. Die sich wie ein Meer ausnehmen, wenn man aus dem Waldesdunkel kommt. Wo es ordentlich stürmen kann und gehörige Wellen aufwirft. Und dann geht die Fahrt hinunter nach Strömsholm und zur Umladung in die Eisenbahn in Kvicksund. Ich habe für meinen Onkel, den Schiffer, und für den Bootsmann gekocht. Und sie haben mir dies und jenes beigebracht. Über die Seen und die Schleusen. Über die, die im Wald leben. Die Kleinen und die Großen. Der Myrpusten, der Skrakvinden. Und der Blärran. Das ist der schlimmste von allen.
– Was ist das? Der Myrpusten? Und, wie hieß er gleich – der Blärran? Gibt es die?
– Natürlich gibt es die. Es wäre besser, wenn es sie nicht gäbe. Der Myrpusten ist ein scheußlicher Wind. Er kommt von den großen Mooren im Landesinneren. Und wenn er kommt, werden die Segel nass und träge, schwer zu hissen und zu fieren und wollen sich nicht blähen.
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