Der Mann auf dem blauen Fahrrad
mich irgendwie. Ich habe ein unbehagliches Gefühl, dass sie meinen eigenen allzu ähnlich sind. Aber wie, kann ich nicht genau erklären.
Schmerz ist doch das Gefühl, das alle Menschen am besten kennen? Von den krampfartigen Bauchschmerzen und der langgezogenen Qual der Zahnschmerzen in Kindertagen bis zu dem brennenden Schmerz, wenn man mit dem nackten Fuß auf einen Nagel tritt.
Der Schmerz, vor allem im linken Handgelenk, hatte stark zugenommen. Aus irgendeinem Grund war das in dem Moment geschehen, als die Herrenhausdame den Raum verließ. Janne fragte sich das eine und andere. Um das Elend noch eine Weile unter Kontrolle zu halten – vielleicht würde er jemanden finden, der ihm Aspirin geben konnte –, beschloss er, an alle Unannehmlichkeiten seines Lebens zu denken.
Fieberkranke Träume, die Masern und die Windpocken mit der ekligen Flüssigkeit, die austrat, wenn man sich an den juckende Stellen kratzte, die Ohrfeigen von Fräulein Hedlund in der Berga-Schule, wenn man in der Klasse Fragen stellte. Kein Scherz: kräftig schallende Ohrfeigen, die noch Stunden danach das Ohr von selbst singen ließen. Die bösartigen Klassenkameraden Roffe und Uffe, die ihm oft auf dem Heimweg auflauerten und ihn mit dem scharfen, sandpapierartigen Schnee einrieben. Ihr hämisches Lachen, wenn er versuchte, sich zu verteidigen. Und am schlimmsten natürlich, wenn er wieder in die Schule ging, nachdem er die eine oder andere Krankheit überwunden hatte: Mumps, die spanische Grippe und wie sie alle hießen. Scharlach? Nein, Scharlach hatte er nicht gehabt. Hätte er Scharlach gehabt, wäre er sicher daran gestorben. Das wusste er ganz genau. Wenn er wieder in die Schule kam, bleich und zitternd nach seiner letzten Krankheit, dann war erneut die Zeit der Plagegeister, und sie nahmen die Gelegenheit wahr.
Aus der Schultür zu treten, heraus aus der relativen Sicherheit des Korridors, und zu wissen, dass sie unten an der Hecke warteten, nicht an einem Tag, sondern fast jeden Tag, war auf seine Art vielleicht das Wichtigste, was er in dieser Schule lernte. Seine fast grenzenlose, jubelnde Freude an dem Morgen, an dem verkündet wurde, dass Roffe und Uffe beim Hüpfen auf dem Frühlingseis des Skanssjön eingebrochen waren. Man hatte sie herausgezogen, aber da war nicht mehr viel zu machen gewesen. Die steifgefrorenen Körper seien auf der Ladefläche eines Lastwagens vorbeigefahren worden, hieß es. Über den Knektbacken auf dem Weg zur Grabkapelle.
War das wirklich geschehen? Ihm kam der Gedanke, hier und jetzt in diesem bedrohlichen Raum, dass alles vielleicht nur seiner Phantasie entsprungen war. Etwas, das er sich so oft gewünscht hatte, dass er schließlich das Gefühl hatte, es wäre wirklich geschehen. Vermutlich gab es Roffe und Uffe noch irgendwo. Aber wenn sie nicht im Skanssjön ertrunken waren, wie war er sie dann losgeworden? Nach dem vierten Schuljahr waren sie weg. Er hätte es jedenfalls gern gesehen, dass sie ertrunken wären.
Anna-Stina hatte er an einem völlig falschen Ort getroffen – an einem Versammlungsabend. Sie kam mit einer sehr alten Pastorenwitwe, deren Pflege man ihr vermutlich anvertraut hatte. Wie das eigentlich zusammenhing, war eine Frage, die er sich damals nicht stellte, sondern erst viel später. Das Mädchen war mager, bleich, ziemlich dünnhaarig, wie es schien – vielleicht als Folge eines allzu fleißigen Gebrauchs von Lockenwicklern –, und wirkte insgesamt so schüchtern und verschreckt, dass Janne in einer Art falscher Verzweiflung spürte, dass er mit ihr sprechen musste. Es war einfach nicht zu ertragen, sie da in einer Ecke stehen zu sehen, allein und ungesehen. Also begann er ein Gespräch.
So hatte es angefangen.
Mit einer, die zugeknöpft und mager war. Kaum hatten sie geheiratet und waren zusammengezogen, wurde sie allmählich eine andere. Es war nicht ganz leicht zu sagen, wie. Aber eine andere wurde sie.
Es war nicht nur die Sache mit der Mangel. Es war wirklich viel mehr.
Seit einigen Minuten war der Handgelenkschmerz jetzt verschwunden. Vielleicht war das hier ja eine Methode, um ihn in Schach zu halten? Zeitweise hatte sogar das Fotoalbum mit seinem Schnappschloss und seinen dicken, tiefroten Deckeln ein wenig zu schwer gewirkt, um es zu halten. Wie um Himmels willen hatte er sich vorgestellt, hinunter nach Kolbäck zu radeln?
Die besten Bilder in dem Buch waren die Schiffsbilder. Der friedliche Hafen von Västerås und dieser Seemann, der mit dem Rücken fest
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