Der Mann auf dem blauen Fahrrad
leben. Man konnte es höchstens durchqueren, in der Hoffnung, so unbeschädigt wie möglich zu bleiben.
Die Räumlichkeit – wir verzichten gern darauf, sie eine Wohnung zu nennen – hatte nur ein Zimmer, Diele und Küche. Die Fluchtmöglichkeiten waren mit anderen Worten begrenzt und beschränkten sich auf das Badezimmer, wo der eine oder der andere sich einschließen konnte, aber nicht beide zugleich.
An diesem Morgen waren Dinge geschehen, Dinge, an die Janne ungern denken wollte. Äußerungen, die gefallen waren, und die vielleicht nicht hätten fallen sollen. Wir werden nicht näher darauf eingehen, welche Dinge, denn eine Erzählung kann niemals die ganze Wirklichkeit einfangen. Aber eines können wir sicherlich feststellen, dass sich an diesem Morgen mehr ereignet hatte, als Janne in Erinnerung behalten wollte. Und so viel war klar: Er war dazu aufgefordert worden, aus diesem Zuhause zu verschwinden und nicht zurückzukehren. Wie ihm gesagt wurde, war er ein Versager und würde ein Versager bleiben. Alles war ihm misslungen. Für ihn gab es keine Hoffnung.
Aber vielleicht für jemand anders?
In verminten Gewässern
D ie Tür wurde ohne Klopfen geöffnet, diesmal vorsichtig einen Spaltbreit, und eine männliche Stimme erklang, die eher höflich und schüchtern als fordernd fragte:
– Entschuldigung, ich komme doch nicht ungelegen?
Der sehr hagere und sehr lange Mann trug eine dieser sonderbaren Lesebrillen, die man sonst nur auf der Nase von Wirtschaftsprüfern und Bibliothekaren sieht. Er hatte einen hellgrauen Flanellanzug an und eine Krawatte umgebunden, die möglicherweise die Mitgliedschaft in der einen oder anderen Gesellschaft anzeigte. In seiner ganzen Erscheinung lag etwas Vorsichtiges, Tastendes. Man konnte es als Unsicherheit deuten. Aber es konnte auch elegant kaschierte Neugier sein. Dies war jene Art von Menschen, die Janne am schwersten einordnen konnte, weil es ihnen gelang, hinter einer Maske vorgegebenen Desinteresses zu verbergen, was sie eigentlich wollten oder nicht wollten. Dieser Bibliothekarstyp – oder war er vielleicht Notar? – konnte, das spürte Janne, eine Treibmine sein, die in dem Augenblick explodieren würde, in dem man eines ihrer zerbrechlichen Hörner berührte. Sie würde explodieren und unangenehme Splitter verstreuen.
– Ein Freund meiner Schwester?
– Nicht ganz. Nur ein zufälliger Besucher. Wirklich vollkommen zufällig. Dass ich hier gelandet bin, war reiner Zufall, nichts anderes.
– Den meisten fehlt die Absicht, nicht wahr?
– Ja, ich fürchte, Sie haben recht.
– Entschuldigen Sie bitte, wenn ich störe. Ich sehe ja, dass Sie lesen. Aber Sie haben nicht zufällig meine Schwester hier in der Nähe gesehen? Eine sportlich gekleidete Dame, ein ganzes Stück jünger als ich?
– Freilich. Ich warte gerade auf sie. Sie war eben noch hier.
– Oh, ich verstehe. Sie sind einer ihrer Freunde? Sie hat so viele, dass ich nicht alle kenne. Ich bin Fredrik Grane. Und Sie sind?
– Jan Friberg. Aber ich bin keine Freund der Familie, ich bin nur jemand, der vorbeigeschaut hat. Der, genau gesagt, gezwungen war einzutreten, um Hilfe zu bekommen. Ich hatte einen kleinen Verkehrsunfall.
Es war einer dieser etwas unangenehmen Augenblicke, in dem alles in der Schwebe ist. Und es war unklar, wer mit dem nächsten Satz an der Reihe war. Auch wenn er das Gefühl hatte, es wäre irgendwie vorteilhaft, den anderen zuerst sprechen zu lassen, fragte Janne:
– Sie wohnen also auch hier auf dem Hof?
– Nein. Ganz und gar nicht. Ich wohne auf dem Kungsholmen. In Stockholm also.
– Ja, ich kenne den Kungsholmen. Meine Firma, die Firma, die ich repräsentiere, Electrolux Svenska Försäljningsaktiebolag, hat ihren Hauptsitz auf dem Kungsholmen. In einem dieser hohen Türme in der Sankt Eriksgatan.
– Wie interessant! Das ist mir noch nie aufgefallen. Sie haben also etwas mit Electrolux zu tun?
– Das kann man so sagen. Ich repräsentiere die Firma. Im Mälar-Tal, im südlichen Bezirk: Sörstafors und Kolbäck.
Der Brillenträger schien sich damit zu begnügen. Und ging nahtlos dazu über, von sich selbst zu sprechen.
– Ich komme mittlerweile nicht oft hierher. In meiner Kindheit hingegen war ich die ganzen Sommer über hier. Wie finden Sie denn die Freiherrin Grane? Sie gehören ja zu ihrem Kreis.
Janne kam der Mann immer sonderbarer vor. Er hatte keine Lust, einen Kommentar über Frau … Freiherrin Grane abzugeben. Es war doch allzu deutlich, dass
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