Der Mann aus dem Dschungel
mit gespielter Entrüstung. "Wo schlaft ihr Männer eigentlich?"
"Einen Stock tiefer."
"Wollen Sie uns besuchen?" grölte Alf aus der Entfernung.
Offenbar war er noch nicht völlig weggetreten.
"Davon dürfen Sie allenfalls träumen, Mr. Droggan", antwortete sie kühl.
"Schon erledigt", gab er schlagfertig zurück.
Am Ende des Ganges stieg er eine Treppe hinunter und verschwand aus ihrem Blick. Libby wartete, bis auch Mick verschwunden war. Sie wollte gleich zurück zum Areal, denn sie hatte keine Zeit zu verlieren. Wenn sie sich beeilte, konnte sie den Rest des Tageslichts nutzen, um John zu befreien. Nur noch einen Augenblick, dachte sie, dann kann es losgehen.
Und dann hörte sie einen lauten Krach.
"Verdammt", fluchte sie und rannte den Gang hinunter zur Treppe und nahm zwei Stufen auf einmal. Micks Körper lag am Eingang seines Zimmers auf dem Boden.
"Mick", rief sie und rüttelte an seiner Schulter.
"Mmmfff", antwortete er und schlug noch nicht einmal die Augen auf. Vergeblich rüttelte sie an ihm. Er rührte sich nicht.
Hier konnte sie ihn nicht liegen lassen. Sie griff mit ihren Armen unter Micks Arme und schleppte ihn in sein Zimmer.
Als sie ihn bis in die Mitte des Raumes gezogen hatte, gab sie erschöpft auf. Mick wirkte doppelt schwer, weil seine Muskeln völlig erschlafft waren. Zur Sicherheit fühlte sie den Puls. Er schlug langsam, aber kräftig.
Was würde geschehen, wenn sie aufwachten? Gegen jede Vernunft hoffte sie, dass sie ihren Rausch allein dem Alkohol zuschreiben würden. Natürlich war das lächerlich. John wäre zwar längst in Freiheit, aber mindestens Alf besaß genügend Intelligenz, um ihr die Schuld an der Sabotage zuzuschieben.
Sie musste sich eine Geschichte ausdenken, die
einigermaßen überzeugend klang. Vielleicht sollte sie erzählen, dass John entwischt war, als sie die Tür öffnete, um einen Kontrollgang zu machen. Alf würde ihr zwar niemals glauben, aber was konnte er schon ausrichten?
Die Türen zum Kontrollraum glitten zur Seite, und die Lichter leuchteten mit halber Kraft. Bevor sie das Areal betrat, ging sie nochmals zum Medizinschrank. "Nicht, dass ich dir nicht vertraue, John", sagte sie laut zu sich selbst. Der Klang ihrer Stimme, die die unheimliche Stille des Kontrollraums durchbrach, beruhigte sie. "Aber eine Frau kann niemals vorsichtig genug sein", fügte sie hinzu und steckte sich ein paar übrig gebliebene Betäubungspatronen in die Tasche.
Die Automatiktür zum Areal öffnete sich eine Spur zu schnell, fand sie. Sie zögerte einen Augenblick vor dem letzten Schritt. "Ich muss verrückt sein", flüsterte sie so leise, dass niemand ihre Worte verstehen konnte. "Ich zerstöre alles, wofür ich mein Leben lang gearbeitet habe. Nie wieder werde ich eine Stelle als Wissenschaftlerin bekommen. Ich werde froh sein können, wenn ich Hamburger braten darf. Aber was interessiert mich das jetzt. John wird mir sicher gleich das Genick brechen."
Gerade wollte sie die Schwelle überschreiten, als ihr einfiel, dass man die Tür von innen nicht automatisch öffnen konnte.
Nicht, wenn der Wilde frei herumlief. Mit einem Stuhl blockierte sie die Tür. Dann überschritt sie die Schwelle in die dampfende Hitze des Dschungels.
Obwohl seine Fesseln gelöst waren, lag er regungslos auf der Liege. Für einen Moment kroch die Panik in ihr hoch.
Was, wenn sie ihn so sehr mit Drogen voll gepumpt hatten, dass er sich so lange nicht bewegen konnte, bis Alf und Mick ihre morgendliche Jagd antreten wollten?
"John?" sprach sie mit zitternder Stimme in die Dunkelheit hinein. Kein Muskel zuckte. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich dichter an ihn heranzubewegen. In Reichweite.
Sie stand jetzt direkt neben der Liege und berührte ihn leicht an der Schulter. Sein Körper war weich und warm und fest und stark zugleich. "John", sagte sie lauter. "Ich hole dich hier heraus."
Er bewegte die Augenlider. Langsam öffnete er die Augen und starrte sie an. Sie hatte keine Ahnung, ob er begriffen hatte, was sie sagte. War irgendetwas zu ihm durchgedrungen?
"Ich helfe dir bei der Flucht. Darum hast du mich heute Morgen gebeten, nicht wahr? Hilf mir hast du gesagt, oder?
Und jetzt helfe ich dir. Ich lasse es nicht zu, dass sie dir Blut abzapfen oder dich durch den Wald jagen oder dir
Elektroschocks verpassen. Du wirst frei sein."
Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Er verharrte in der Bewegungslosigkeit. Mit dunklen Augen starrte er sie unverwandt an. Kein Laut entfuhr
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