Der Mann aus dem Dschungel
KAPITEL
Als Libby am späten Nachmittag wieder den Kontrollraum betrat, waren Mick und Alf immer noch in ihr Kartenspiel vertieft. Beide grüßten nur flüchtig. Micks sorgenvoller Gesichtsausdruck verriet ihr, dass Alfs Gewinnsträhne offensichtlich nicht abreißen wollte.
"Haben Sie ihn erwischt?" fragte sie mit betont gleichgültiger Stimme.
"Klar", erwiderte Alf und gönnte sich einen kräftigen Schluck Bier aus der Flasche, die neben ihm stand. Er mischte die Karten und teilte aus. "Ich hab ihn in der linken Schulter getroffen. Er ist eingeknickt wie ein fauler Baumstamm. Also, geben Sie nicht mir die Schuld, wenn Sie frische Prellungen entdecken. Er ist unglücklich gestürzt."
"Aber Alf, du vergisst, dass du ihn…"
"Halt die Klappe", befahl Alf mit süßlicher Stimme.
Mick verstummte. Über seine Karten hinweg sah er Libby unsicher an. "Wollen Sie ein Spielchen wagen, Doc? Alf ist ein Meister im Kartenspielen."
"Nein, danke. Ich suche die Aufzeichnungen von Dr.
McDonough. Der Ordner in meinem Zimmer ist
unvollständig."
Alf legte die Karten auf den Tisch. "Und was genau hoffen Sie in den Aufzeichnungen zu finden?"
Libby zuckte mit den Schultern. "Ach, die normalen Dinge."
Sie bemühte sich, möglichst beiläufig zu klingen. "Gewicht, Blutdruck, Reiz-Reaktions-Schema. Mick meinte, dass Dr.
McDonough ihn für taub hielt, als er ihn testete. Ich möchte gern die Testergebnisse sehen."
Alf schien nicht ganz überzeugt. Aber das Bier und das Pokerspiel hatten deutlich höhere Priorität. "Links in der Schublade sind die Ordner. Außerdem sind die Daten auf CD
gebrannt. McDonough hat die ganze Klaviatur durchgespielt."
"Er hat sogar Elektroschocks eingesetzt", gestand Mick freimütig. "Sie hätten sehen sollen, wie Tarzan… äh, wie John auf seiner Liege gezuckt hat. Man dachte, dass er völlig ohne Bewusstsein ist, als McDonough die Elektroden angebracht hat, und… wammm!… er ist kilometerweit gehüpft."
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dr. Holden sich für die Einzelheiten interessiert", warnte Alf. "Sie hat ein schwaches Herz, wie du weißt, und macht sich große Sorgen, dass wir der Kreatur etwas antun könnten. Sie merkt nicht, dass er ein Tier ist. Er vergisst den Schmerz sofort, wenn's vorbei ist."
"Und woher wissen Sie das, Mr. Droggan?" fragte Libby, während sie die CDs durchsah. "Hat er es Ihnen verraten?"
"Sie wissen genauso gut wie ich, dass er sich nicht verständigen kann. Sein Gehirn ist unterentwickelt. Er ist eine Rückentwicklung, mehr Tier als Mensch…"
"Ich danke für Ihre wissenschaftlichen Ausführungen, Mr.
Droggan. Aber vielleicht leidet er unter einer Hirnverletzung.
Strangulation unterbindet die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn.
Vielleicht konnte er sprechen, bevor Hunnicutt sich entschied, seine Jäger auf ihn anzusetzen."
"Wir haben ihn nicht gefangen!" protestierte Mick.
"Uns hat sie auch nicht gemeint, Kumpel", schnaubte Alf.
"Wir sind nicht verantwortlich für den Zustand, in dem wir ihn übernommen haben."
"Sie sind verantwortlich für den Zustand, in dem er sich jetzt befindet", schnappte Libby zurück.
Wie erwartet hatte Alf genug von ihrer Kritik. "Wir möchten jetzt in Ruhe zu Ende spielen, Miss. Was dagegen?"
"Nicht im Geringsten", antwortete sie. Sie summte eine kleine Melodie, als sie die nächsten Schubladen öffnete, und achtete peinlichst darauf, dass ihr Körper den Männern die Sicht auf die Schublade verdeckte.
Die Drogen waren leicht zu finden. Ein Dutzend
gebrauchsfertige Ampullen und zusätzlich vierundzwanzig Patronen für das Betäubungsgewehr. Sie ging hinüber zum Waschbecken, wusch sich die Hände und ließ das Wasser laufen, damit das Geräusch ihre Sabotage übertönte. Alf sah noch nicht einmal auf.
Es reichte, um die Ampullen unter dem laufenden
Wasserhahn zu entleeren und sie mit Leitungswasser
aufzufüllen. Die Versiegelung war zwar aufgebrochen, aber sie hoffte inständig, dass Alf es nicht bemerken würde. Sie wollte sich gerade den Patronen zuwenden, als Alfs Stimme ertönte. Sie erschrak.
"Bringen Sie uns doch mal ein Bier rüber, Süße", sagte er.
"Wenn Sie sich schon hier herumtreiben, dann können Sie sich genauso gut nützlich machen."
Wenn Libby nicht einen wichtigeren Plan verfolgt hätte, wäre jetzt der Moment gekommen, die beiden endgültig hinauszuwerfen.
"Sicher", antwortete sie gehorsam und freundlich. Sie holte zwei große Flaschen dunkles Guinness heraus. Aus dir wäre ein ausgezeichneter Spion
Weitere Kostenlose Bücher