Der Mann aus dem Dschungel
ich dich in der Höhle belästigt habe, ich weiß.
Aber deswegen musst du mich nicht gleich aufgeben."
Natürlich antwortete er nicht. Er verlangsamte seine Schritte noch nicht einmal, obwohl sie Mühe hatte, ihm zu folgen.
"Wie gut, dass du nicht verstehst, was ich sage", fuhr sie fort.
Offensichtlich redete sie sich jetzt schon mal warm. "Auf diese Weise müssen wir nicht diese unangenehmen
Unterhaltungen am Morgen danach über uns ergehen lassen.
Oder am Nachmittag danach. Na, du weißt schon. Es gibt nichts Schlimmeres als mit jemandem sprechen zu müssen, der dich schon mal nackt gesehen hat. Nicht, dass ich dich nackt gesehen habe - es war zu dunkel." Sie plauderte munter vor sich hin. Der Klang ihrer Stimme beruhigte sie. Und ihn schien ihr Selbstgespräch nicht zu stören. Solange sie redete, wusste er immerhin, dass sie ihm noch folgte wie ein gehorsamer Diener.
"Kein Wunder, dass ich Sex bisher vermieden habe", fuhr sie fort und stolperte über ein paar große Wurzeln. "Zuerst immer dieser blöde Verführungskram, wo beide nicht wissen, ob sie wirklich wollen, aber denken, dass sie eigentlich wollen sollten. Und dann die Sache selbst, die meistens in einem einzigen peinlichen Durcheinander endet und alles andere als befriedigend ist. Das Beste daran ist, dass jemand dich begehrt, aber ich bin nicht sicher, ob der Preis am Ende nicht doch ein bisschen zu hoch ist. Und dann das Danach. Beide erwarten ein großes Liebesgeständnis, obwohl sie insgeheim für sich allein sein möchten."
Sie stutzte. "Nicht dass ich jetzt lieber allein wäre", fügte sie eilig hinzu. "Und ich muss sagen, Sex mit dir war gar nicht übel. Im Grunde war es der beste Sex, den ich jemals hatte, und…"
Zum ersten Mal seit Tagen stolperte der wilde Mann, der sich sonst so geschmeidig durch den Dschungel bewegte. Sie lief geradewegs in ihn hinein. Er fing sie auf, bevor sie zu Boden fiel. Für einen Augenblick glaubte sie, einen Ausdruck der Überraschung in seinem Blick zu erkennen.
Aber als sie diesen Ausdruck in ihrem Blick festhalten wollte, war er schon verschwunden. Er sah aus wie immer.
Distanziert und ohne ein Anzeichen dafür, dass er sie verstanden hatte, setzte er seinen Weg fort.
Vielleicht sollte ich einfach den Mund halten und mich auf den Weg konzentrieren, dachte sie bei sich. Es war schon erstaunlich, wie viel sie in den letzten Tagen gesprochen hatte.
Normalerweise war sie eher eine verschlossene Person.
Richard hatte sich immer beklagt, dass sie ihm nie erzählte, was sie dachte. Eigentlich eine gute Sache, überlegte sie, denn Richard neigte dazu, ihre Gedanken für seine
wissenschaftliche Arbeit zu verwerten.
"Ich hoffe, du weißt, was du tust", sagte sie schließlich erschöpft zu ihrem Begleiter. "Hoffentlich liegt irgendwo an der Küste ein Boot, das uns von dieser Insel wegbringt, ohne dass wir mit den Haien Bekanntschaft machen müssen. Das wäre mir wirklich sehr recht. Nach dem letzten Flug würde ich es sogar noch vorziehen, als Haifischfutter im Ozean zu enden. Bloß nicht wieder in ein Flugzeug steigen. Hast du in deinem Leben überhaupt schon mal ein Flugzeug gesehen?"
Die Schatten der Nachmittagssonne wurden immer länger.
Plötzlich durchfuhr sie ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn sie noch eine gemeinsame Nacht auf der Insel verbringen mussten? Würde er erwarten, dass sie mit ihm schlief? Und was sollte sie tun, wenn er es verlangte? Schlimmer noch: Was sollte sie tun, wenn er es nicht verlangte?
Angestrengt überdachte sie die Möglichkeiten. Sie bemerkte nicht, dass der Blätterwald des Dschungels immer dünner wurde. Zu ihrer Überraschung verließen sie den Dschungel und traten auf einen Strand. Der grünblaue Pazifik erstreckte sich vor ihnen. Endlose Wellen wogten auf und ab.
Sie starrte John an, aber er wirkte keineswegs überrascht.
Offenbar hatte er genau gewusst, wohin sein Weg ihn führen würde. Er lief den Strand hinunter, und sie folgte ihm wie ein gehorsames Hündchen. Schließlich drehte er sich um und sah sie an.
Plötzlich wurde sie sehr nervös. Er legte seine Hände zärtlich auf ihre Arme und stieß sie sanft auf den Sand. Er würde doch nicht…
Aber dann wandte er sich ab und lief fort, ohne sich ein einziges Mal umzusehen.
Sie saß mit überkreuzten Beinen auf dem weichen weißen Sand, stützte das Kinn in die Hand und wartete. Zugegeben, sinnierte sie, es gab ein Problem mit den Städten. Sie lagen selten am Meer. Die Ufer des Michigansees bei Chicago
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