Der Mann aus dem Dschungel
Licht. Er war in einem der hinteren Räume verschwunden. Libby entdeckte einen bequemen Sessel in der Ecke und setzte sich. Erschöpft seufzte sie auf.
Es war zu dunkel, um jede Einzelheit im Raum erkennen zu können. An den Wänden konnte sie lange Bücherregale ausmachen, voll gestellt mit Werken, die ihr Dschungel-Mann sicher alle gelesen hatte. In der Ecke standen noch mehr alte, bequeme Sessel. Ein Telefon konnte sie nicht entdecken. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, auf dem ein
unordentlicher Stapel Papiere lag. Sie unterdrückte den Impuls, hinüberzugehen und einfach nachzusehen, ob
irgendein versteckter Hinweis in den Papieren das Geheimnis um den wilden Mann lüften könnte.
"Ich habe den Kühlschrank und das heiße Wasser angestellt", sagte er. "Sie werden beide mit Gas betrieben. Es dürfte nicht lange dauern, bis der Kühlschrank kalt und die Dusche warm ist. Ich habe auch einen Stromgenerator, aber es ist verdammt schwierig, ihn im Dunkeln zum Laufen zu bringen. Außerdem produziert er gerade genug Strom für ein paar Lampen. Wir können genauso gut mit den Kerzen
auskommen. Und weil du so neugierig bist: Ja, es ist mein Haus. Hier lebe ich, wenn nicht gerade irgendein
megalomanischer Multimilliardär mich gefangen hält."
Sie war nicht besonders geübt darin, ein unbeteiligtes Gesicht zu ziehen, aber sie gab sich alle Mühe. Es reichte, um ihn zu ärgern, und das freute sie sehr.
"Morgen werden wir einen Weg finden, um dich von hier wegzuschaffen. In der Zwischenzeit solltest du einfach versuchen, das Beste daraus zu machen. Du darfst mir gern erzählen, was für ein gottverdammter Idiot ich bin. Ich bin darauf gefasst."
Die Versuchung war groß. Aber es war kaum mit Worten auszudrücken, was sie wirklich für ihn empfand. Schweigen schien ihr effektiver zu sein.
Und zum ersten Mal entdeckte sie eine Gefühlsregung auf seinem für gewöhnlich unbeteiligten Gesichtsausdruck. Sogar in der Dunkelheit war seine Frustration nicht zu übersehen.
Sie unterdrückte ein zufriedenes Lächeln.
"Erst hörst du nicht auf zu reden und dann machst du den Mund nicht mehr auf", sagte er verbittert. "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine Frau der Extreme bist?"
Sie antwortete nicht. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Sieg nach Punkten für die Guten, dachte sie bei sich. Doch dann erinnerte sie sich an das Beobachtungsareal, in dem der hilflose Mann sediert auf einer getarnten Liege gefangen gehalten worden war. Mick und Alf hatten ihn Tag und Nacht drangsaliert. Und auch sie hatte dazugehört. Vielleicht gehörte sie doch nicht zu den Guten.
Er kam schneller zurück, als sie erwartet hatte. In der Hand hielt er einen Stapel Klamotten aus seinem Schrank und einige Handtücher. Er warf den Haufen in ihren Schoß. "Das muss reichen. Du kannst jetzt duschen. Das Wasser kommt aus der Zisterne und ist vorgewärmt. Lauwarm, wenn du nichts dagegen hast."
Kaum hatte er seinen Satz beendet, sprang sie auf und rannte an ihm vorbei. Sie fand das Bad hinter der Küche und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
"Du könntest dich wenigstens bedanken, dass ich dich zuerst duschen lasse", rief er ihr durch die verschlossene Tür hindurch zu. "Immerhin liegt deine letzte warme Dusche erst ein paar Tage zurück."
Armer Kerl, dachte sie ohne jede Spur von Mitleid. Sie hatte die feste Absicht, so lange zu duschen, wie sie es nur aushalten konnte. In diesem Klima wurde das Wasser
bestimmt nie ganz kalt.
Sie weinte fast vor Glück, als die ersten Tropfen des warmen Wassers über ihren Körper rieselten. In der Seifenschale lag Sandelholzseife und echtes Shampoo. Sie seifte jeden Zentimeter ihrer Haut und ihrer Haare ein, spülte sich ab und rieb sich erneut ein. Das Buschwerk des Dschungels hatte auffällige Kratzer und Abschürfungen an ihren Beinen hinterlassen. Auch ihr Handgelenk war immer noch
geschwollen. Dann betrachtete sie ihren Körper. Erschreckt musste sie feststellen, dass seine Finger auf ihrer Hüfte Abdrücke hinterlassen hatten. Sie wusste, woher sie rührten.
Jemand klopfte heftig gegen die Tür. "Brauchst du die ganze Nacht?"
Warum eigentlich nicht, dachte sie. Aber wenn sie ihm die Dusche überließ, könnte sie währenddessen unbemerkt in ihrem Schlafzimmer verschwinden. Sie würde sich
einschließen, ohne dass er die Gelegenheit hätte, sie zu belästigen. Morgen würde sie sich dann überwinden und mit ihm sprechen.
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