Der Mann aus Israel (German Edition)
unvollendet
in einer Schublade in Ibrahims Hinterhofwohnung an der Rückseite des noblen American
Colony Hotels liegen.
Von da an saßen wir Standhaften jeden Morgen in seinem
„Lokal“ am Damaskus Tor und schlugen uns die Bäuche mit seinem köstlichen Humus voll . Umsonst natürlich. Ibrahim hätte es nie geduldet, von seinen
armen Archäologen-Freunden Geld zu nehmen. Wir gehörten zur Familie. Als meine
Zeit in Jerusalem vorüber war, und ich meine Koffer packte, brachte mir Ibrahim
eine Goldmünze zum Abschied. Ein Duplikat der berühmten Judaea capta- Münze,
auf der ein römischer Feldherr über das bezwungene Judäa triumphiert. Judäa,
eine trauernde Frau, sitzt mit gesenktem Blick unter einer Palme. „Es ist gut,
dass Du gehst“, sagte Ibrahim damals zu mir. „Israel wird nicht überleben.“
Jahrelang trug ich die Münze an einer goldenen Kette um den Hals. Bis ich
heiratete. Dann nahm ich sie ab.
„Ich besuche Dich bald wieder, Ibrahim.“ Wir liegen uns in
den Armen. „ Inschallah .“ antwortet er. „Ich wünsche Dir eine sichere Reise,
Miss Germany.“
Es zieht mich immer noch nicht ins Museum. Ich verstehe es
nicht. Immer bin ich ins Israel-Museum gelaufen, bei jeder Gelegenheit, bei
jeder Reise, auch wenn ich nur wenige Minuten Zeit hatte. Ich lief
schnurstracks in den Saal mit den zierlichen, kupferzeitlichen Zeptern und
Kronen, deren kleine Spitzen aus gehärtetem Kupfer mit Vögeln, Steinböcken,
Phantasieköpfen und Tierhörnern verziert sind. Winzige Relikte aus den Anfängen
der großen semitischen Kulturen im alten Palästina. Man hatte sie, fein
säuberlich in eine Strohmatte gewickelt, vergraben in einer Höhle der
judäischen Wüste, gefunden. An ihnen hat sich meine Fantasie stets entzündet.
Ich bin in den kupferzeitlichen Priesterzügen mitgezogen, habe die mit
Schlangen und Vögeln verzierten Terrakotta-Kultständer getragen, die für die
Fruchtbarkeitsrituale gebraucht wurden. Ich war die Priesterin, die diese Gefäße
mit den Samenkörnern füllte, damit sie nach den Trankopfern zu keimen begännen.
Ich war Zalpuana, die Hüterin der Samenkörner.
Heute hat es keinen Sinn, dorthin zu gehen, um den alten
Zauber zu suchen. Ich würde nur goldgrüne Augen sehen, die mich aus den Vitrinen
anschauen und sagen „Du hast es so gewollt, Elisabeth.“
Ich stehe unentschlossen am Straßenrand. Es ist noch nicht
Mittag. Ich muss noch viele Stunden totschlagen. Ich wandere ziellos herum,
gehe in Buchgeschäfte, ertappe mich in Annalen über den Yom Kippur- Krieg
blätternd. Ich kaufe Avigdor Kahalanys Militärgeschichte Oz 77 zu den
Gefechten auf dem Golanund weiß jetzt schon, dass ich dieses Buch nie
lesen werde.
Ich schlendere weiter und finde mich am Jaffa- Tor
wieder. Jetzt weiß ich endlich, wo es mich hinzieht. Ich gehe an den arabischen
Männern vorbei, die ihre Dienste als Stadtführer anbieten. Sie sprechen mich in
Deutsch an. „ La, schukran.“ lehne ich verärgert ab. „ Ana mabiti.“ Ich
trage keine Shorts, keinen Fotoapparat, bin dunkelhaarig und habe eine
mediterrane Figur. Wieso erkennt dennoch jeder die Deutsche in mir?
Ich steuere Richtung Erlöserkirche, dem
protestantischen Pendant zur Grabeskathedrale . Das schönste an dieser
Spende des letzten deutschen Kaisers ist der Blick vom Kirchturm aus. Dort
hinauf werde ich jetzt steigen und meinem verwirrten Sinn die Ruhe des
einzigartigen Rundblicks auf die gesamte Stadt gönnen. „Ah, madira“, begrüßt
mich der zahnlose Wächter. „wo ist deine Gruppe, Chefin?“ Er lässt mich auch
ohne Touristengefolge gratis hinaufklettern, ‘zigmal im Kreis herum und dann
stehe ich ganz oben. Hinter Gittern, mit eingeschränktem Blickfeld zwar, ganz
wie eine Haremsdame, sehe ich weit, weit unter mir die alte Stadt. Wie ein
Zaubergarten liegt sie mir zu Füssen. Ich drehe und wende mich, überall
glitzert mir das goldene Jerusalem, die Stadt der israelitischen Könige,
entgegen. Vom König David- Hotel über das Rockefeller-Museum, vom
Ölberg hinüber zur judäischen Wüste mit den Bergen Moabs, die bereits zu
Jordanien gehören. Ich liebe dieses Land, höre ich Raffael sagen und
verstehe ein wenig den Ausschließlichkeitsanspruch seiner Liebe. Der schönste
aller Blicke vom vergitterten Campanile der kaiserlichen Kirche ist aber der
auf den arkadenumsäumten Tempelberg mit der im Mittagslicht schimmernden
goldenen Kuppel des Felsendomes. Ein paar Muslime waschen sich Füße und Hände
in der Brunnenanlage
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