Der Mann aus Israel (German Edition)
zwischen der Al-Aqsa- Moschee und der Treppenanlage
zum ommayadischen Prachtbau mit der Goldkuppel. Sie bereiten sich zum Gebet, es
ist Mittag. Diesen Blick allerdings würde Raffael aus seiner Liebeserklärung
ausklammern, da bin ich sicher. Wenn Israel endlich wieder eine
Likud-Regierung haben wird, wird sie unsere Rechte auf den Tempelberg
wahrnehmen, hatte er mir gestern ins Ohr geflüstert, als ich übers Mikrofon
in hohen Tönen vom Wahrzeichen Jerusalems, dem muslimischen Felsendom,
geschwärmt hatte. Er hatte es zwar lachend gesagt, aber sein Zorn, dass auf dem
einstmals von Salomon aufgeschütteten Hügel mit dem ersten Tempel der Juden
nunmehr die Muslime thronen, und den Juden nur die Klagemauer, das läppische
Westmauer-Fragment, zum Beten bleibt, war nicht zu überhören.
Ich zucke zusammen. Eine Touristengruppe poltert die
Wendeltreppe herauf. Sie werden meine Einsamkeit zerstören. Es wird Zeit, dass
ich gehe.
Vielleicht hat er ja inzwischen angerufen, ich bin schon
seit vier Stunden nicht im Hotel gewesen. Ich gehe ganz rasch durch den Independence
Garden zum Hotel, fahre in den zweiundzwanzigsten Stock hinauf. Mein Herz
klopft, als sei ich zu Fuß heraufgelaufen. Ich bin ganz sicher, dass er sich
gemeldet hat, zumindest ein telefonischer Gruß erwartet mich, der mir die
Sicherheit schenken wird, dass er ständig in Gedanken bei mir ist. Ein klein
wenig zittere ich, als ich versuche, die Zimmertür zu öffnen. Gleich werde ich
seine Stimme hören. Ganz schnell laufe ich zum Telefon. Das rote Lämpchen blinkt
nicht, keine Nachricht.
Zentnerschwer legt sich die Enttäuschung über mein Herz. Es
ist, als schrumpfte ich zusammen und jeder Zentimeter meiner Haut legte sich in
Falten. Ich habe das Gefühl, als löse mein Äußeres sich auf, ich kann nichts
mehr steuern, alles ist nur noch Hülle. Meine Zähne haben keinen Halt mehr,
meine Haare lösen sich vom Kopf. Ich knicke zusammen, taste mich zum Bett und
rolle mich zusammen. Ich bin nur noch ein winziges Päckchen Mensch, das kaum
atmet, dessen einziger lebender Punkt der brennende Schmerz in seinem Inneren
ist. Bitte lass’ mich einfach entschwinden, dieser Verletzung entkommen, nichts
mehr wahrnehmen von dieser Welt, höre ich mich beten.
Habe ich mich so getäuscht, murmle ich vor mich hin. Ist es
denn möglich, dass ich mir nur eingebildet habe, dass ich ihm gefalle? Ich sehe
doch sonst so scharf. Habe ich all die Blicke, die Berührungen, die Sehnsucht
in seinen Augen falsch interpretiert? Hat er vielleicht sogar absichtlich mit
mir gespielt, um mich bei Laune zu halten? Und ich vollkommene Idiotin bin auf
seine schwülstigen Glotzaugen hereingefallen. Als wievielte wohl muss ich mich
in die Reihe der ältlichen Eroberungen des dicken, schlagersingenden Erzengels
stellen? Und er sitzt jetzt gemütlich in seinem Westbank-Wohnzimmer, isst den
apple-pie seiner englischen Frau und genießt seinen freien Tag.
Ich schäme mich maßlos. Zu der Scham mischt sich eine Wut,
die mich kurzatmig macht, die die Trauer aus meinem Herzen fegt. Ich werde
keinen weiteren Gedanken an diesen Faschisten, an diesen fetten
Möchtegern-Schürzenjäger, an diesen armseligen Psychokrüppel mehr verschwenden.
Jetzt ist Schluss, sage ich streng zu mir, Du nimmst Dich augenblicklich
zusammen und bedienst Dich ab sofort wieder Deines Hirns. Du tust nur noch das,
was Dir passt. Ausschließlich. Raffael Kidon ist Dein einheimischer Bimbo.
Sonst nichts. Er soll Dir die Reise erleichtern, privat hast Du nichts mit ihm
zu schaffen. Ich nicke meinen eigenen Befehlen zustimmend zu.
Ich genehmige mir einen großen Schluck aus meiner
Whiskey-Flasche und dann nehme ich all meinen Mut zusammen und wähle die Nummer
von Otto Guttmann. Es ist halb drei Uhr. Vermutlich störe ich ihn beim
Mittagsschläfchen. Aber wenn ich jetzt nicht anrufe, werde ich mich nie wieder
trauen. Und stören kann ich ihn zu jeder Zeit. Vielleicht ist er ja gar nicht
da oder er hat keine Zeit. Oder keine Lust darauf, mich wiederzusehen.
Ich habe Schweißfinger, ich sehe die Spuren auf dem
Telefonhörer. Wieso habe ich das Gefühl, aufdringlich zu sein? Am liebsten
würde ich wieder aufhängen. Aber da meldet er sich schon. „Ja.“ höre ich seine
Stimme. Sie klingt nicht so freundlich und heiter wie gestern. Fast ein wenig
barsch. Ich atme tief durch. „ Schalom , Herr Guttmann“, sage ich etwas
übertrieben vergnügt. „hier ist Elisabeth Tobler.“ Er reagiert nicht. Er weiß
nicht
Weitere Kostenlose Bücher