Der Mann aus Israel (German Edition)
grünen Türe stehe, summt es und sie geht wie
von alleine auf, das Licht im Treppenhaus wird eingeschaltet, von oben klingt
Musik. Wieder Bach. Aber diesmal erkenne ich die Melodie, es ist das Adagio aus
dem Klavierkonzert in D-Moll. Mir wird ganz warm und wohlig. Die Anmut dieses
Zauberhauses nimmt meine Sinne sofort in Besitz, und - ich fühle mich
willkommen bei dem alten Herrn, ein Gefühl, das der Sohn mir nicht angeboten
hat.
„Bei Tag sind Sie ja noch hübscher.“ sagt der liebenswerte
Mann und hakt sich bei mir ein. „Sie erinnern mich an die junge Ava Gardner.
Dieselben schrägen, geheimnisvollen Augen.“
„Na ja“, wehre ich ab. „doch wohl nicht ganz.“ Aber mein
Herz labt sich an seinem Kompliment. Mir schien Ava Gardner mit ihren
verführerischen Augen immer als die schönste aller Hollywood-Göttinnen. Ein
Blick von ihr, und die Männer gingen in die Knie, egal ob John Wayne oder Clark
Gable, eine Frau, die die hartgesottensten Muskelpakete schachmatt setzte. Ich
krame das Buch aus meinem Rucksack, das ich ihm gestern in meiner Aufregung zu
geben vergaß. „Ein Geschenk!“ ruft er begeistert und legt das Buch auf seinen
Schreibtisch, ohne es anzusehen. „Ich werde es sofort lesen, wenn Sie mich
wieder verlassen haben werden. Aber jetzt kommen Sie erst einmal und machen es
sich bequem.“
Er führt mich zu den roten Sofas. Ich sinke hinein in die
samtene Pracht. Die Buddhas und Bodhisattwas nicken mir von ihren Konsolen aus
huldvoll zu, ich grüße zurück. Ihre goldenen Blumen im Haar leuchten. Mit
beinahe kindlicher Neugier beobachten sie Otto Guttmanns Besucherin.
Er hat einen richtigen Kaffeetisch gedeckt, die zierlichen
Tassen haben einen Goldrand, das Milchkännchen und die Zuckerdose stehen auf
einem silbernen Tablett mit Spitzendeckchen. „Wie wenn ich es geahnt hätte.“
sagt er und deutet auf den Kuchen. „Ich war nämlich heute früh in Tel Aviv.“ Er
zückt das Kuchenmesser. „Wissen Sie, manchmal habe ich genug von Jerusalem mit
seinen frommen Juden und den frechen Arabern. Dann rufe ich Rose, eine meiner
letzten Freundinnen aus den ersten Tagen hier im Land an, verabrede mich mit
ihr und rasch wie der Wind fahre ich nach Tel Aviv. Dann setzen wir uns ins
Café Kapulski an der Strandpromenade und atmen ein wenig europäische
Luft.“
Ich kenne Kapulski’s . Der warme Apfelstrudel und der
echt österreichische Einspänner sind im ganzen Land berühmt, nicht nur
bei den Nostalgikern. „Und weil er so gut und frisch roch, habe ich heute einen
Nußzopf mitgenommen.“ Er schneidet mir ein Stück Zopf ab und gießt Kaffee in
meine Tasse.
„Es ist so schön bei Ihnen“, sage ich. „ich bin richtig
überwältigt. Wie sind Sie denn zu diesem Prachtshaus gekommen?“
„Das ist schon eine ganze Weile her, so an die dreißig
Jahre. Ich ging im Nachbarhaus ein und aus, es waren Patienten von mir,
äthiopische Christen. Oft tranken wir nach dem Krankenbesuch einen Mokka auf
dem Balkon zusammen.“ Otto Guttmann blinzelt mich an. „Der Mann war schwer
magenkrank. Eigentlich hätte ich ihm das schwarze Gesöff verbieten sollen. Aber
soll man einem Todkranken die letzten Freuden verwehren? Vom Balkon aus hatte
man einen wunderbaren Blick in den verwunschenen, verwinkelten Garten dieses
Hauses. Ich verliebte mich darin und wollte es besitzen. Als der alte Armenier,
der es bewohnte endlich starb, kaufte ich es seinen Erben ab. Sie hatten kein
Interesse an dem heruntergekommenen Schuppen. Ganze 29 000 Dollar hab’ ich
dafür bezahlt.“ Er grinst bei dieser Erinnerung. „Als wir hier einzogen, waren
wir eine richtige Familie. Hannah und ich waren ein Paar, Miki war am Leben und
Raffi war noch normal.“ Er benützt den Kosenamen. Waren sie einander früher
näher gewesen? Ob der Vater den kleinen Sohn auf den Schoss nahm, ihn umarmte
und ihm die Dinge des Lebens erklärte, als der Sohn noch normal war? Was für
ein Ausdruck. Ich würde zu gerne wissen, was sie sich angetan haben, dass sie
so frostig und distanziert miteinander umgehen. Aber die Geschichte des Vaters
interessiert mich im Augenblick mehr. „Wo haben Sie denn vorher gewohnt? Wie
lange sind Sie denn überhaupt schon hier im Land?“
„ Otto, tu’s nicht. Haben sie alle immer zu mir
gesagt, als ich mich zum Auswandern nach Palästina entschloss. Das war ‘33, ich
war 18, hatte gerade das Abitur in der Tasche. Geh’ nicht, Otto. Ich bin
aber trotzdem gegangen, habe auf ihre Verniedlichungen zur
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