Der Mann aus Israel (German Edition)
ihn an, obwohl ich
keine Ahnung von der Preisliste verbogener Kreditkarten habe. „Sollte Ihnen Ihre
kaputtgehen, wird es mir ein Vergnügen sein, Sie zu einer neuen einzuladen.“
sage ich zähnefletschend. Er nickt erfreut. Das Problem ist für ihn gelöst.
Ich gehe zurück in mein Zimmer, der Telefonbeantworter hat
keinen Anruf für mich gespeichert. Er macht sich nichts aus mir, fährt es mir
durch den Kopf, sonst würde er sich doch melden. Vielleicht macht er sich sogar
lustig über mich, erzählt seiner Frau von der seltsamen, frustrierten
Deutschen, die ihn ständig aus den Augenwinkeln beobachtet, als sei sie hinter
ihm her. Ich gebe dem Telefon einen Fußtritt, der Brokatdeckel fällt auf den
Boden. Ich hebe ihn nicht auf, schnappe meine Sonnenbrille und meinen Rucksack
und eile hinaus auf die Straße. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Ins
Museum, dirigiere ich mich selbst. Aber ich habe keine Lust, vor toten
Gegenständen zu stehen. Sie würden mir heute nichts sagen. Ich beschließe, auf
den Mahane Yehuda, den großen jüdischen Markt zu spazieren, da ist immer
viel Betrieb. Das wird meine Sinne ablenken. Damit ich nicht durchs
ultraorthodoxe Mea Shearim gehen muss, wo sicherlich meine Gäste
herumwandern und strenggläubige Juden und ihre dreckigen Häuser inspizieren,
nehme ich einen Umweg. Ich spaziere am Kikar Zion vorbei, hinauf zur
äthiopischen Kirche. Um die Ecke wohnt Otto Guttmann. Ich würde so gerne zu ihm
gehen, mich in eines seiner verschlissenen roten Sofas setzen, die Buddhas an
den Wänden betrachten; die bunten Glasfenster würden das Licht im Zimmer tanzen
lassen und einen sicheren Wall bilden zwischen mir und der Welt draußen. Ich
getraue mich nicht zu klingeln. Wie sollte ich unbefangen einen unverfänglichen
Besuch bei ihm machen können, zwischen Otto Guttmann und mir steht Raffael
Kidon.
Unter bunten Sonnensegeln haben die Händler des großen jüdischen
Marktes ihre Waren ausgebreitet. Alles, was unter der nahöstlichen Sonne
gedeiht, liegt auf den Tischen und wird lauthals angepriesen. Ein betörender
Geruch von frischen Kräutern, Früchten und Gemüsen hängt in der Luft.
Strenggläubige Juden in schwarzen Kaftanen und weniger strenge in Jeans, lässig
dekolltierte Jerusalemer Hausfrauen und züchtige Schtetl-Mütter mit bedecktem
Haupt werden von den Händlern mit günstigen Angeboten überschüttet. Ein
ohrenbetäubender Lärm, eine farbenprächtige Menschenmischung umgibt mich, sehr
jüdisch und zugleich sehr orientalisch. Viele von den Verkäufern sprechen
hebräisch mit einem leichten arabischen Touch. Es sind Palästinenser. Das
Miteinander blüht auf dem Markt, hier geht es nicht um hohe Politik, hier geht
es um frische und günstige Ware. Davon verstehen alle etwas. Über Lautsprecher
werden immerfort Durchsagen wiederholt. Ich denke zuerst, es seien besonders
preisgünstige Angebote, die, wie in einem Supermarkt, den Kunden ständig
eingehämmert werden. Heute besonders zu empfehlen die roten Äpfel aus dem
Kibbuz Ramat Gan. Nur vier Schekel das Kilo. Greifen Sie zu, bevor es ein
anderer tut. Oder so ähnlich.Dann höre ich genauer hin. Mit einem
leichten Schauer erfahre ich eine ganz andere Botschaft. Achten Sie auf alleinstehende
Tüten, Taschen oder Kartons. Melden Sie es sofort dem nächsten Polizisten.
Achten Sie auf alles, was nach Sprengkörper aussieht. Behalten Sie Ihre
Umgebung im Auge. Die schöne, bunte Welt des Marktes im Herzen Jerusalems
ist höchst gefährdet. In jeder achtlos hingeworfenen Papiertüte muss der Tod
befürchtet werden. Ich kaufe mir eine gelbe Rübe. Langsam kauend stehe ich an
eine Mauerecke gelehnt und sehe dem bunten Treiben zu. Aus hundertsiebenunddreißig
verschiedenen Nationen stammen die Menschen Israels. Mir scheint, als
spazierten sie alle gerade über diesen Markt. Dicke Russinnen stopfen ihre
Plastiktüten voll, während sie ungeniert und laut in ihrer alten Muttersprache
weiter diskutieren. Neben ihnen steht eine Frau mit einem chicen Bubikopf-Schnitt.
Sie spricht französisch mit dem kleinen Mädchen an ihrer Seite. Eine alte Dame
mit hochgeschlossenem weißen Spitzenblüschen und einer Aquamarin-Brosche am
Revers der blauen Strickjacke kauft bei dem Händler, dessen ausgelegte Ware ich
gerade begutachte, ein Kilo Kartoffeln. Sie spricht mit einem derartig starken
deutschen Akzent, als sei sie gestern erst hier angekommen. Nervös fingert sie
in ihrem abgewetzten Portemonnaie herum, als der Verkäufer ihr den Preis
Weitere Kostenlose Bücher