Der Mann aus Israel (German Edition)
mehr, wer ich bin. Mir sackt das Herz in die Hose. „Ich war gestern mit
Ihrem Sohn bei Ihnen.“ versuche ich es stockend.
„Aber ja, natürlich!“ ruft er plötzlich begeistert.
„Verzeihen Sie bitte, wie konnte ich nur. Sie haben mich ja völlig verzaubert,
gestern Abend.“ Ich atme auf. Er kennt mich also doch noch. „Wissen Sie, ich
kann mir keine Namen mehr merken. Das ist schlimm. Ich hoffe, ich habe Sie
nicht verärgert.“ Jetzt ist er wieder der alte Charmeur. „Wie geht es Ihnen
denn?“ fragt er mich. „Und was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufes?“
„Ich habe große Lust, Sie zu besuchen.“ sage ich
geradeheraus. „Es war so schön bei Ihnen.“
„Ja, haben Sie denn Zeit?“ ruft er in den Apparat. „Müssen Sie
nicht mit meinem charmanten Sohn das ruhmreiche Israel abklappern?“
„Wir haben heute unseren freien Tag. Er ist bei seiner
Familie, und ich bin im Hotel.“ Nicht einmal seinen Namen werde ich mehr
aussprechen.
Otto Guttmann erkundigt sich nach meinem Hotel. „Ja, das
ist gar nicht weit von mir.“ sagt er erfreut. „Am besten, Sie schnappen sich
ein Taxi und kommen gleich her.“ Er wiederholt seine Adresse. Ich weiß sie
längst schon auswendig.
Ich werde wieder vor der kleinen, grünen Tür stehen, werde eintreten
dürfen in Guttmanns warme Behausung. Ich bin so glücklich, dass der alte Herr
mich kommen lässt. Wie in einen sicheren Hafen zieht es mich in sein Reich, ich
habe wieder Boden unter den Füssen. Ich spüre, wie sich mein Gesicht entspannt,
wie sich ein Lächeln den Weg bahnt. „Was kann ich denn mitbringen?“ will ich
wissen.
„Aber nein doch, gar nichts. Kommen Sie einfach. Ich setze
inzwischen den Kaffee auf. Keinen Nescafé, meine Liebe, wie in der Westbank.
Bei mir gibt es guten Filterkaffee, so wie es sich gehört.“ sagt er
verschmitzt.
Ich öffne die Balkontüre und lasse die herrlich warme
Herbstluft in meine Zimmerflucht. Zum Duschen habe ich keine Zeit mehr, aber
ich rubble mir das Gesicht, male sorgfältig meine Lippen an und lege ein wenig
Rouge auf. Ich gehe zu Otto Guttmann, singe ich vor mich hin. Ich gehe ins
schönste Haus von Jerusalem. Meine Augen sind noch ein wenig trüb. Sie bekommen
eine silbrigblaue Umrandung. Du bist schon so albern wie Sieglinde Kampfhan,
denke ich.
Der Taxifahrer hat rote Haare und ein aufgeschwemmtes
Gesicht. Neben dem Rückspiegel hängt eine israelische Flagge, auf dem
Handschuhfach klebt ein Slogan der Partei, die alle Araber aus Israel
deportieren möchte, ein araberfreies Land der Juden als Parteiprogramm. Ich spreche
ihn auf die Autonomie der Palästinenser an. „Ausverkauf!“ ruft er wütend.
„Dieser meschiggene Rabin schüttelt die Hände der Mörder unserer Soldaten. Er
verkauft unser Land.“ Er betont das unser . „Unser heiliges Land sollen
diese Esel ohne Schwänze umsonst bekommen.“ Er ist in Rage. Ich bin überrascht.
Ich dachte, das gesamte Volk Israels stünde hinter dem Friedensbemühen Yitzhak
Rabins. „Ja, aber ...“ ich wage einen Einwurf, aber er schneidet mir das Wort
ab. „ Israel katan, aval chasak.“ ruft er und ballt die Faust. „Israel
ist klein, aber stark. Wir werden uns zu wehren wissen.“ Ich steige ein wenig
früher aus, dieser Mann macht mir Angst. Hoffentlich ist das nur ein verrückter
Einzelner, denke ich.
Ich gehe das letzte Stück zu Otto Guttmanns Schatzhaus zu Fuß.
Ich atme die Luft des Äthiopierviertels ein, als sei sie manna getränkt.
Ich folge dem Schwung der Ethiopiastreet und sehe hinter hohen Mauern
orientalische Herrschaftshäuser genau wie das von Otto Guttmann. Bunte
Glasscheiben, grüne Fensterläden, schmiedeeiserne Balkons, die Wände der
massiven Häuser aus unverputztem Haustein, weiß verfugt. Solche Häuser sind mir
nur im Jemen begegnet, in einer Stadt im Süden, Taizz. Häuser aus dem
letzten Jahrhundert, erbaut von äthiopischen Kaufleuten, die in der Fremde zu
viel Geld gekommen sind. Merkwürdig, denke ich, ob das hier denselben
Hintergrund hat? Ich muss Otto Guttmann fragen.
Es ist ganz ruhig hier oben, obwohl der lebhafte Kikar
Zion keine zwei Minuten weit weg ist. Eine Welt für sich. Ich biege links
ab und schon von weitem kann ich Otto Guttmann sehen, er steht auf seinem
Balkon und hält nach mir Ausschau. Sein roter Pullover leuchtet in dem Grün der
Bäume um ihn herum. Als er mich sieht, winkt er erfreut. „Wie wunderbar, Sie so
schnell wiederzusehen. Und noch dazu allein!“ ruft er mir zu.
Als ich vor der
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