Der Mann aus Israel (German Edition)
mitfühlend mit allen anderen Lebewesen und will
ihnen Gutes tun.“ Erlösung, denke ich voller Wut, jeder Mensch ist anscheinend
auf der Suche nach Erlösung. Erlösung von was? Wozu? Ich weiß es nicht. Ich
spüre nur selbst, wie sehr ich mich danach sehne, von dieser diffusen Sehnsucht
erlöst zu werden, die grundlos und störend mein leichtes Dasein überschattet.
Als Raffi mir gestern übers Haar strich und die Linien meines Mundes
nachzeichnete, gestern in der Sanddüne von Caesarea, hatte sich die Sehnsucht
plötzlich aufgelöst, hatte Platz gemacht für ein zitterndes, erregtes Glücksgefühl,
das ich nicht kannte. Warm und wohl war es mir gewesen, in jedem Millimeter
meines Körpers. Für einen Moment drehte sich die Erde nicht weiter, blieb
stehen und schenkte mir mit dieser sanften Geste einer Hand mehr Genugtuung als
ich je hätte erahnen können. Ich war befreit von allen Gedanken, befreit von
allen Spekulationen. Nur einmal noch, denke ich, noch ein einziges Mal möchte
ich dieses Gefühl spüren. Noch einmal! Noch einmal! Noch einmal! Alles würde
ich dafür herschenken: meinen Schmuck, mein Haus in Davos, mein schnelles Auto.
Nur einmal noch mit Raffi in der Sanddüne von Caesarea liegen und einfach da
sein und von nichts träumen und sich nach nichts sehnen müssen. Alles Ersehnte
wäre da.
Otto Guttmann dreht sich um und schaut mir ins Gesicht. Gut,
dass er nicht weiß, was in meinem Kopf vorgeht, er würde mich für eine Närrin
halten. „Sie sind ganz bleich, meine Liebe, nur Ihre Augen glühen. Ich
irritiere Sie mit dieser Geschichte, nicht wahr? Sie ist bald zu Ende.“ Er
führt mich zurück zum roten Sofa. „Wissen Sie, dass ich die ganze Zeit darauf
warte, dass Sie sich ein Zigarettchen anzünden! Und mir dann vielleicht so ganz
nebenbei eine anbieten.“ Jetzt schäkert er wieder. Ich bin froh darüber. Die
Zentnerlast der Raffael-Geschichte hat mir die Schultern verspannt. Schon lange
lechze ich nach einer Zigarette.
„Ich wusste doch nicht, dass in diesem Heiligtum geraucht
werden darf.“ rufe ich erstaunt und erleichtert. Ich krame in meinem Rucksack
nach der Schachtel und halte sie ihm hin. Wir nehmen beide einen tiefen Zug und
lehnen uns zurück.
„Es war, glaube ich, 1989 oder 90 als ich wieder von meinem
Sohn hörte. Nach langen Jahren des Schweigens. Linda, haben Sie sie
kennengelernt? stand eines Tages vor der Tür. Sie ist nicht gerade die Hübscheste,
ein wenig monoton, die gute. Eine der Frauen, bei denen man sich auf die Suche
nach den inneren Werte machen muss.“ Er sieht, dass ich ihm mit der Faust
drohe. „Entschuldigen Sie, meine Teure. Ich liebe halt Frauen, denen man die
Verwandtschaft mit Venus noch ansieht.“ Er spitzt die Lippen, zieht die
Augenbrauen hoch und zeigt mit der Hand auf mich. Eigentlich müsste ich jetzt
böse sein, aber ich bin es nicht. Ich freue mich, dass ich ihn eher an
Aphrodite als an Marie Curie erinnere.
„Ich war jedenfalls sehr mit Lindas Vater befreundet
gewesen, einem Juristen hier aus der Stadt, dem sein Engagement für die
Aufhebung des Todesurteils an Adolf Eichmann die Karriere gekostet hat. Linda,
die inzwischen zu meiner dritten Schwiegertochter geworden war, stand im Flur
und flehte mich an, nicht länger zu grollen. Raffi bräuchte mich, sie habe
Angst um ihn. Ich müsse unbedingt mitkommen und eingreifen. Ich sei ihre letzte
Hoffnung, sie habe schon alles versucht. Ihr Einfluss auf ihn sei gering. Aber
das wisse ich vermutlich ohnehin. Ja, was ist denn geschehen? So rede doch
endlich! fuhr ich Linda an, deren dicker Bauch zweifellos auf eine erneute
Schwangerschaft hindeutete. Enkel Nummer fünf, kaum nachdem Nummer vier aus dem
Brutkasten entlassen worden war. Mein Gott, dachte ich, hört das denn nie auf?
Ich war ziemlich wütend, ich wollte nichts mit den Problemen meines Sohnes zu
tun haben. Aber Linda war verzweifelt, und so ließ ich mich schließlich
überreden mitzugehen. Im Auto, auf der Fahrt in die psychiatrische Klinik in
Haifa, erzählte sie mir, was passiert war.“ Er greift nach der
Zigarettenschachtel. „Darf ich? Zu Raffaels Kommandobereich gehörte eine
Einheit, die in den besetzten Gebieten ihren Dienst tat, hörte ich. Aus
irgendeiner unbenannten Quelle war durchgesickert, dass eine Gruppe ihm
untergebener Soldaten insgeheim beschlossen hatte, gegen die Araber etwas zu
unternehmen. Sie besannen sich der brutalen Methoden der Nazis und bestimmten
sie zu ihrem Leitfaden. Bei jeder sich bietenden
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