Der Mann aus Israel (German Edition)
dessen Schulden mitübernehmen. Linda,
die gute, opferte ihrem Mann ihr gesamtes Erbe. Vermutlich sogar ohne Vorwürfe.
Sie würde sich häuten lassen für ihren Mann. Sie war zur einzigen Konstante in
seinem Leben geworden, ich schied aus, da Ansprüche stellend und deshalb
unerwünscht. Von Linda hatte er nichts zu befürchten, ihre Liebe ist
bedingungslos. Und das ist schon gut so, ohne sie wäre er damals sicher
draufgegangen.“ Er unterbricht sich plötzlich. Es scheint ihm etwas eingefallen
zu sein. „Mitten in diesem Schlamassel hatten die beiden die chuzpe, mich
noch einmal zum Großvater zu machen, zum sechsten Mal. Stellen Sie sich das mal
vor. Sami, Dani, Amir, Yossi, Uri und jetzt noch Yuval. Eine ewig hungrige,
hosennässende Meute kleiner israelischer Muskelprotze. Zukünftige Helden.
Deutsch spricht keiner mehr von ihnen.“ Er zuckt mit den Achseln und schüttelt
leicht den Kopf. „Irgendwann vor drei, vier Jahren bewarb er sich an der
Akademie für Reiseleiter, einer sehr elitären Institution hier im Land. Er
wurde angenommen, welch` Wunder, obwohl in seinem Curriculum natürlich auch
seine militärische Vergangenheit aufgelistet war. Ich nehme an, dass sie ihn
genommen haben, weil sie knapp an Leuten waren und weil er so gut deutsch und
englisch spricht, und immer mehr ausländische Touristen von geschulten
Einheimischen geführt werden wollen. Die Ausbildung dort ist sehr gut und sehr
teuer.“ Das kann ich bestätigen, denke ich, Raffi ist brillant in seinem Job.
„Linda und ich gaukelten ihm etwas von einem Stipendium vor, ihn Wahrheit
zahlte ich die zwei Jahre Schule. Wenn er das eines Tages herausfinden sollte,
wird er mir jeden einzelnen Schekel vor die Füße knallen.“ Er presst die
Lippen zusammen und spricht mit einem kleinen resignierenden Lächeln weiter.
„Und jetzt ist er Reiseleiter. Ich schätze das nicht besonders. Es hat etwas
Unseriöses, etwas Verschwitztes, beinahe wie Vertreter für Bettwäsche. Aber
zuerst kommt wohl immer noch das Fressen und dann erst das Imaginäre.“
„Der Erzengel ist ein verdammt guter Reiseleiter.“ sage ich.
„Erzengel?“ Otto Guttmann schaut mich überrascht an. „Nennen
Sie ihn so?“ Er fängt an zu lachen, die grünen Augen blicken amüsiert. „Ich
muss schon sagen, das ist famos. Erzengel!“ Er malt mit den Armen Flügel in die
Luft, faltet die Hände und schneidet fromme Grimassen. „Einfach herrlich.
Erzengel! Das passt wie die Faust aufs Auge.“ Er beugt sich zu mir herüber,
nimmt meine beiden Hände und küsst sie ganz sanft. „Und Sie sind ein Geschenk
des Himmels, Elisabeth.“ Er steht auf. „Darf ich Sie zu einer tiefgefrorenen
Pizza einladen?“ fragt er galant. Ich hatte schon befürchtet, er würde mich
jetzt zum Aufbruch mahnen. Ich nicke erleichtert. „Wenn sie aufgetaut ist, sehr
gerne.“ gebe ich ihm lachend zur Antwort. „Während ich das gute Stück in den
Backofen befördere, dirigiert Sir Neville Marriner für Sie.“ Er legt eine CD
auf und verschwindet in Richtung Küche.
Ich ziehe die Schuhe aus und lege mich auf das Sofa. Alles
dreht sich in meinem Kopf. Die Bilder tanzen in meinem Hirn, ich kann sie
nicht anhalten. Rüstungstechnik. Psychiatrische Klinik. Ester. Tamarr.
Linda. Libanon. Hochdekoriert. Uganda. Mengele-Einheit. Ausgegrenzt. Helden.
Mut. Oberst ohne Brigade. Brotlos. Ich stelle mir vor, wie Raffi russischen
Immigranten rote Borschtsch- Suppe serviert und sehe ihn, wie er in der
Schulbank sitzt und die Erdschichten des Heiligen Landes auswendig lernt. Was
in sein Leben bislang hineingepresst wurde, würde für zehn weitere leicht
ausreichen.
Der Duft aus der Küche bringt mich zurück in die Realität.
Ich richte mich auf. Da kommt Otto Guttmann mit zwei Tellern durch den offenen
Bogen der Türe. Er hat die Pizza fein säuberlich aufgeschnitten, hält zwei weiße
Stoffservietten in der Hand. „Jetzt leisten wir uns noch ein schönes Fläschchen Montepulciano .“ sagt er liebenswürdig und stellt unser Festessen auf den
Tisch. Er öffnet die staubige Flasche, und wir prosten einander zu, der Wein
ist dunkel und schwer. „Oh Orient, hätt` ich Dir nie gekennt.“ dichtet er und
klopft anerkennend an das Kristallglas. „Ich dachte immer, alle Juden sollten
hier in Israel wohnen, nur hier seien wir sicher. Im eigenen Staat. Stimmt wohl
nicht ganz, was?“ Jetzt ist er wieder der spöttisch-distanzierte Mann von Welt,
der Israeli, der immer ein Jecke geblieben ist. Als die Flasche
Weitere Kostenlose Bücher