Der Mann aus Israel (German Edition)
Möglichkeit setzten sie ihren
Beschluss in die Tat um. Als Besatzungssoldaten hatten sie jede Menge
Möglichkeiten dazu. Ich erspare Ihnen die abscheulichen Einzelheiten. Als die
Presse von diesen Vorgängen Wind bekam, zögerte sie nicht, diese Geschichten zu
veröffentlichen. Und auch den Namen der Gruppe. Sie nannte sich
„Mengele-Einheit“. Die Armee versuchte sofort und mit Erfolg, diese
Enthüllungen zu verhindern und erklärte später, diese Namen seien nur dem
schwarzen Humor ihrer Soldaten zuzuschreiben. Ich konnte nicht glauben, was
Linda erzählte, versuchte sie zu beruhigen und sagte irgendetwas von
Schmutzfinken in der Presse, denen gar nichts heilig war. Aber darum geht es ja
gar nicht, es geht um Raffael, um Deinen Sohn. Er ist es, der in
Schwierigkeiten steckt, rief meine Schwiegertochter. Mir stockte für einen
Moment das Herz. Er wird sich doch nicht an den Gräueln beteiligt haben? fuhr
es mir durch den Kopf. Wie dieser unselige andere Oberst, wie hieß er noch?
Mhm, ja, Jehuda Meir, glaube ich. In Schwierigkeiten? schrie ich, in was für
Schwierigkeiten? Ich will ihn nicht sehen, wenn er irgendetwas mit diesen
Sauereien zu tun hat. Ich war außer mir und wollte, dass sie sofort mit dem
Auto kehrtmachte.“ Otto Guttmanns Stimme zittert ein wenig. Er macht eine
kleine Pause, um sich zu sammeln und fährt dann fort. „Gott sei Lob und Dank
war es anders. Aber schlimm genug. Raffael hatte es nicht fertiggebracht, es
bei der offiziellen Armeeverlautbarung bewenden zu lassen, er war sich komplett
sicher gewesen, dass seine Soldaten nichts Unrechtes getan hatten, dass es
anständige und pflichtbewusste Soldaten waren. Und das hatte er beweisen
wollen. Also hatte er sich zum Detektiv in eigener Sache gemacht. Aber beim
Stochern im großen Scheißhaufen der Armee traf er nicht auf die erwartete blütenweiße
Soldatenehre, sondern musste kapieren, dass die Anschuldigungen vollkommen zu
Recht ausgesprochen worden waren. Einige seiner Leute hatten sich tatsächlich
in brutale Aktivitäten verbissen. Nach ihren Beweggründen befragt, erhielt
Raffael Unterweisungen in ihrem Gedankengut. Er hörte Dinge, die sogar sein
hartgesottenes Nervenkostüm zum Zittern brachte. Sie erzählten ihm etwas von Verhinderung
der Assimilation von Juden und Nichtjuden, von Vorschlägen zur Rettung der
Heiligkeit Israels, von einer Ausgliederung von Nichtjuden aus jüdischen
Wohngebieten, vom Verbot von sexuellen Beziehungen oder Heirat zwischen Juden
und Nichtjuden, von der Dringlichkeit Nichtjuden, d.h. Arabern, den Status des
„Fremden“ zu verleihen und sie damit zu Rechtlosen zu machen. Und so weiter
und so weiter. Ein Katalog von Geschmacklosigkeiten, einstmals der Feder Meir
Kahanes entflossen, dieses menschenverachtenden Rassisten, nunmehr
Glaubensbekenntnis junger israelischer Soldaten, einiger weniger zumindest.
Eine ganz üble Sache. Und das Schlimmste daran war, dass Kahanes „Vorschläge“
in vielen Punkten mit den Rassengesetzen von Nürnberg übereinstimmen.“ Otto
Guttmanns Hände zittern. Kaum fünfzig Jahre her, dass der deutsche Rassismus
ihm die Jugend zerstört hatte, denke ich, und nun keimt im eigenen Land ein
jüdischer Rassismus. Gibt es irgendeine Legitimation dafür, grüble ich,
missbraucht man etwa den Holocaust dafür? Ein vollkommen wahnsinniger Gedanke.
„Diese schrecklichen Tatsachen rissen Raffael mit einem
einzigen Schlag die sorgsam gehütete militant-patriotische Tarnkappe vom Kopf
und die Seele aus dem Leib. Er schloss sich viele Tage ein, war nicht
ansprechbar, aß nichts und trank nichts. Er brütete über einem schweren
Entschluss. Er entschied, seine Leute vor ein Militärgericht zu bringen. Er
musste es tun, ich verstehe das. Jede andere Entscheidung hätte ihn zum
Mittäter gemacht. Es waren nicht viele Soldaten, die es betraf, nur zwei oder
drei. Aber für Raffael ging es längst nicht mehr um die Anzahl, es ging ihm ums
Prinzip.“ Er atmet tief durch, bevor er weiterspricht. „Die jungen Soldaten
hatten milde Richter. Zwei wurden zu je sechs Monaten gemeinnütziger Arbeit
verurteilt, der Dritte wurde freigesprochen. Ein Hohn. Raffael, in dem das
einstige Rechtsempfinden wiederaufgelodert war, ließ nicht locker. Er raste von
Armeerichter zu Armeerichter, um das Recht einzuklagen. Man speiste ihn ab,
nannte die Gewalttaten „Exzesse“ und Einzelfälle und ersuchte ihn, seine Arbeit
weiterzutun und des Weiteren das Maul zu halten.“ Otto Guttmann hat den Kopf in
die Hand
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