Der Mann aus Israel (German Edition)
dieser Affe, schloss sich mit Begeisterung an. Sie sammelten
Akten, hielten Vorträge, reisten in der Weltgeschichte herum, publizierten
Bücher. Alles nur mit einem Ziel im Visier: die Araber zu verunglimpfen.“ Der
alte Herr holt tief Luft, bevor er weiterspricht. „Aber nicht nur das. Er trat
der Partei der Rechtsnationalen bei, befürwortete die härtesten Vorgehensweisen
gegen die Araber. Stellen Sie sich vor, als der Bürgermeister einer der neuen
Westbank-Siedlungen alle Araber verpflichten wollte, beim Betreten des Ortes
ein Erkennungsabzeichen zu tragen, gab Raffael ihm seine Unterstützung. Ein
„Judenstern“ für alle Palästinenser. Da muss es einem ja den Magen umdrehen,
wenn man normal denkt. Raffael wurde zum Siedler, baute sich ein Häuschen in
den besetzten Gebieten. Fest gemauert in der Erden mit Stacheldraht und
Bewachung rund um die Uhr, und nebendran die schiefen Häuser der Araber, denen
das Land eigentlich gehört. Können Sie sich die Wut vorstellen, die sich da
anstaute? Ich schon. Sogar den unseligen Libanon-Einfall von 1982 hieß mein
Sohn gut. Ein Krieg aus Sicherheitsgründen hieß es damals. Ein dreckiger
Expansionskrieg war es und nichts anderes. Eine Schande für unser Land. Ich
versuchte alles, um Raffael zur Vernunft zu bringen, beschwor ihn, sich seiner
humanistischen Werte zu besinnen, seine Gefühle in Ordnung zu bringen, wieder
Herr seiner Selbst zu werden. Ich flehte ihn an, den Namen seines toten Bruders
nicht mit unschuldigem Blut zu besudeln. Es half nichts. Raffael war wie
besessen von der Idee der Rache.“ Klein und zerbrechlich sitzt Otto Guttmann
vor mir. Sein Gesicht ist weiß wie Wachs, aus seinen grünen Augen ist jede
Koketterie verschwunden. Jede Minute fängt mit ihm an und hört mit ihm auf hatte
Raffael geflüstert, als er mir von seinem Bruder erzählte. Von Rache hatte
Raffael nicht gesprochen, nur von unendlicher Trauer. „Er war natürlich dabei
im Libanon-Krieg. Zum Dank für seinen vaterländischen Einsatz wurde er hoch
dekoriert und mit Orden übersät. Oberstleutnant Kidon. Aber ich hatte mit
diesem Mann nichts mehr zu tun. Zum ersten Mal war ich froh darüber, dass er
einen anderen Namen trug als ich. Ich schnitt ihn mir aus dem Herzen. Von da an
hatte ich gar keinen Sohn mehr.“
Otto Guttmann hält es nicht mehr auf seinem Sessel auf. Er
geht hinüber zu dem kleinen Bodhisattwa-Köpfchen mit dem gotisch-feinen
Gesicht, das so sehr an die Landgräfin Uta im Dom zu Naumburg erinnert. Er
streichelt ihr über die Wangen und sagt wie zu sich selbst. „Ja, so ist das.
Als er zum Obersten gekürt wurde, bin ich nicht hingegangen. Ich war nicht mehr
stolz auf ihn.“
Ich stehe auch auf und gehe hinüber zu dem alten Herrn. Er
legt den Arm um meine Schultern. Wir stehen eine Weile ganz ruhig, ohne zu
sprechen. Ich entsinne mich an die Zeilen einer israelischen Lyrikerin, die sie
unter dem Schock über die brutalen Ereignisse während des Libanon-Krieges 1982
geschrieben hatte, als hier im Lande heftigst über die scheußlichen
Foltermethoden an palästinensischen Gefangenen und die Massaker in den
libanesischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila diskutiert wurde Zurück
ins Lager, Marsch!, brüllte der Soldat den schreienden Frauen von Sabra und
Schatila zu. Ich hatte Befehle zu befolgen.
Die eigenen Soldaten wurden als „Judeo-Nazis“ beschimpft,
und ausländische Zeitungen verglichen Israel mit Nazi-Deutschland.
Und der geliebte Sohn auf der falschen Seite, auf der des
politischen Extremismus. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Begriffswelt
eines redlichen Mannes wie Otto Guttmann für diese Hinwendung kein Verständnis
aufbringen konnte. Weit weniger gut kann ich mir allerdings Raffael als
blutrünstigen Rächer vorstellen. Brutal vielleicht, aber primitiv nicht. Dazu
wird sein ganzes Wesen viel zu sehr von einer eiskalten Intelligenz gesteuert. Ich
war nie militant, hatte er gesagt, das einzige, wofür ich immer gekämpft
habe, ist die Sicherheit meines Landes.
Otto Guttmann nimmt meine Hand und führt die Finger sacht
über das Gesicht des kleinen Bodhisattwas. „Er ist von zeitloser Ebenmäßigkeit,
beinahe entmaterialisiert, nicht wahr? Wissen Sie, dass die mildtätigen
Bodhisattwas im Buddhismus Erlösungshelfer der Menschen sind, angehende
Buddhas, die einzig in der Welt bleiben, um die Menschen aus dem Strom des
Leidens zu retten. Weil er das Selbst in sich längst überwunden hat, ist der
Bodhisattwa mitleidend und
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