Der Mann aus Israel (German Edition)
knallte mir als Antwort hin, dass er mein Scheißjeckentum
mit all der Bildung noch nie hatte leiden können, dass ich ihn gezwungen hatte,
ein Deutscher zu bleiben, statt ein Israeli zu sein.“ Otto Guttmann schüttelt
leicht den Kopf. Er kann diese Ungeheuerlichkeit anscheinend heute noch nicht
fassen. „Ich konnte nichts tun, Raffael verschlampte. Geistig. Diese Frau hatte
ihm übel zugesetzt. Seiner unterwürfigen Liebe hatte sie einen Fußtritt
verpasst. Das sollte nie wieder einer Frau gelingen. Das ist ihre Schuld.“ Er
bricht abrupt ab, als müsse er sich zwingen, nicht weiter über seine ehemalige
Schwiegertochter herzuziehen. „Was seine kriegerische Laufbahn betraf, da war
er allerdings sehr rege. Meist hatte er eine Beförderung zu melden, wenn er
sich hier sehen ließ. Leutnant, Oberleutnant. Das ging alles ruckzuck. Bei
Ausbruch des Krieges 1973 war er schon Hauptmann. Fragen Sie mich nicht, wie er
das gemacht hat. Muss wohl tüchtig gewesen sein. Wenn er protekzia von
irgendwo erhalten hat, so jedenfalls nicht von mir. Ich habe nicht das
Vergnügen, einflussreiche Militaristen unter meinen Freunden zu haben.“ fügt er
spitz hinzu. „Im Yom-Kippur-Krieg fiel sein Vorgesetzter am ersten Kampftag,
und Raffael wurde zum Major. Dieser junge Spund.“ Jetzt bin ich es, die staunt.
Wenn ich Major höre, denke ich an zackige Kämpfer in fortgeschrittenen
Jahren, denen das Alter schon die Schläfen ergrauen lässt. „Sie dürfen das
nicht an deutschen Verhältnissen messen, Elisabeth. In einem Land, das unablässig
meint, Kriege führen zu müssen, können die Hürden hinauf in den Parnass der
hohen Ränge flott gemeistert werden. Mit Ende Vierzig verabschieden sich die
Herren Führungsoffiziere ja schon in Pension und beglücken unser Land dann im
zweiten Karriereschub als Politiker oder Wirtschaftsbosse.“ Er hält ein und
reibt sich langsam mit den Fingern die Nasenwurzel. „Und dann kam der
grauenhafteste aller Tage.“ Seine Stimme hat mit einem Mal jeglichen Zynismus
verloren. Er spricht ganz leise und starrt vor sich hin. „Der kleine Miki wurde
abgeschossen. Ich war immer davon überzeugt gewesen, dass mich, nach all den
Verlusten, die ich Herrn Hitler zu verdanken habe, kein weiterer Verlust mehr
aus der Fassung bringen könnte. Aber die Nachricht von Mikis Tod lähmte mich
für lange Zeit. Ich konnte mich nicht äußern, ich konnte nicht weinen oder
meine Trauer nach außen kehren. Der kleine fröhliche Floh war tot, nie wieder
sollte er mit leichtem Schritt die Treppen heraufjagen und mit strahlendem
Optimismus von seinen Erfolgen bei den ersten Probeflügen erzählen. Er war auf
eine so wundervolle Weise harmlos gewesen. Es gibt keine Worte für diese
Trauer. Jedenfalls ich konnte sie nicht formulieren. Ich versuchte nur eines:
weitermachen. So wie ich immer weitergemacht habe, Schicksalsschläge, Terror,
Krieg, Tod hin oder her.“ Er atmet tief durch. „Raffael wollte Tränen sehen,
wollte sichtbare Beweise meines Leides. Je mehr er mich zwingen wollte,
öffentlich zu wehklagen, desto stummer wurde ich. Er bezichtigte mich, ein eiskalter
Egozentriker zu sein, ein unfähiger Vater, der über irgendwelche literarischen
Romanhelden verzweifelt, aber seinen eigenen Sohn nicht betrauern mag.“ Er
zuckt mit den Schultern. „Ob sein Weg, den Tod des Kleinen zu meistern der
bessere war, wage ich zu bezweifeln. Wie Reliquien bewahrt er die Wrackteile
von Mikis Kfir- Jagdbomber auf. Bis heute. So etwas Verrücktes. Er hätte
sie mit ins Grab werfen sollen.“ Er blickt mich lange an. „Wieso erzähle ich
Ihnen das eigentlich alles?“ sagt er dann.
„Ich weiß es nicht.“ antwortet er sich selbst. „Ich weiß es
nicht.“ wiederholt er.
„Ein Jahr nach Mikis Tod heiratete er dessen Freundin, ein
liebes unbedarftes Ding. Tamarr hieß sie. Sie hoffte wohl, mit dem lebenden
Bruder ein Stück weit den toten wiederauferstehen lassen zu können. Was er sich
erhoffte, weiß ich nicht, wage ich mir gar nicht vorzustellen. Eine Absurdität
das Ganze. Es ging natürlich schief. Scheidung. Aber nicht, bevor er zwei
Kinder produziert hatte. Amir und Dani. Unser hauseigener Kindergarten
männlichen Geschlechts wuchs.“
Er zuckt mit den Achseln und nippt an seinem Glas.
„Ich kann nicht sagen, dass mich der militärische Aufstieg
meines Sohnes nicht berührt hat. Wer kann sich gegen die Magie der Armee schon
zur Gänze erwehren? Noch dazu hier in Israel, wo ein tapferer Soldat, zumindest
damals
Weitere Kostenlose Bücher