Der Mann aus Israel (German Edition)
noch, in die Nähe des Mythischen gerückt wird. Irgendwie und ganz gegen
meinen Willen war ich stolz, wenn ich ein Foto von ihm in der Zeitung sah oder
er im Fernsehen gezeigt wurde, wie er seine Brigaden befehligte, harten Blicks
und fester Hand.“ Er unterstreicht die leise Ironie dieser Sätze, indem er die
Fäuste ballt und das Gesicht in strenge Falten wirft. „Unsere Offiziere wirken
ja immer ein wenig hemdsärmlig. Ich schätze, das macht sie aber nicht weniger
gefährlich.“ Otto Guttmann hat meine Hand genommen und streichelt ganz leicht
darüber. „Der eine Bub war tot, der andere auf dem Weg zum General. So hatte
ich mir das nicht vorgestellt. Ganz und gar nicht.“ Er hat meine Hand umgedreht
und streicht über die Linien der Innenseite. „Ihre Hände sind so weich,
Elisabeth.“ sagt er ganz leise. „Ich dachte immer, Archäologen haben Schwielen
und Blasen.“ Er blickt auf. „Können Sie sich an die Flugzeugentführung
erinnern, die unter äußerst dramatischen Umständen in Entebbe in Uganda von
einen israelischen Kommandounternehmen zu Ende geführt wurde?“ Ich nicke. Klar
kann ich mich entsinnen. Ein Flugzeug der Air France wurde auf dem Weg
von Tel Aviv nach Frankreich gekidnappt und zur Kursänderung nach Entebbe
gezwungen. Von arabischen Terroristen. Ich glaube, das war 1976. „Wir erfuhren
über die Presse, dass die Terroristen die israelischen Passagiere von den
anderen abgesondert hatten, was hierzulande sofort an die „Selektion“ von
Auschwitz oder dergleichen erinnern musste, wo die Arbeitsfähigen von den
anderen getrennt wurden, die dann gleich in den Gaskammern endeten.“ Er macht
eine kleine Pause. „Ein Rettungseinsatz der Armee wurde daraufhin ohne große
Diskussion in der Knesset genehmigt. Von Rabin und Peres. Die gleiche
Führungsequipe wie heute.“ Er atmet langsam durch. „Wissen Sie, Angst in
Verbindung mit dem Holocaust ist in so mancher israelischen Psyche fest
verankert. Nicht dass ich das gutheiße, aber es ist eine Realität. Als Peres,
damals Außenminister, die Regierung um Erlaubnis bat, einen Rettungstrupp nach
Entebbe zu schicken, führte er als Grund unter anderem den Holocaust an. Es mag
sein, dass er dabei an seinen geliebten Großvater in Polen dachte, den die
Nazis in eine Synagoge gesperrt und sie dann angezündet hatten. Der Großvater
verbrannte bei lebendigem Leibe.“ Er klopft auf meine Hand und schiebt sie mir
wieder auf den Schoss. „Die Rettungsaktion des Mossad-Kommandos war triumphal.
Aber es gab auch ein paar Tote auf unserer Seite. Und deshalb erzähle ich Ihnen
das alles. Einer der Toten war nämlich Joni Netanyahu. Haben Sie den Namen
schon einmal gehört?“ Nicht dass ich wüsste. Ich schüttle den Kopf. „Der ältere
Bruder des reizenden Benjamin, der gerade versucht, unseren Ministerpräsidenten
mit ordinären Methoden zu verunglimpfen. Haben Sie nichts davon gehört?“ Ich
muss wieder passen. Ich weiß nicht, wovon er spricht. „Dieser Netanyahu ist
seit zwei Jahren Parteichef des Likud, der bräunlichen Sauce hier im Land. Er
peitscht die Ängste seiner Zeitgenossen massiv hoch, indem er die Gefahr eines
„palästinensischen Terroristenstaates“ heraufbeschwört, den dann Rabin
natürlich aufgrund seiner Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz mit den
Palästinensern zu verantworten hätte. Ein Lügner und Volksverhetzer ist das,
dieser Netanyahu, ein raffinierter Gauner.“ Otto Guttmanns Stimme bebt. Er ist
sehr erregt. „Stellen Sie sich vor, dieser Kerl hat doch nichts dagegen
unternommen, als bei einer seiner Kundgebungen seine Anhänger mit Plakaten
herumschwenkten, auf denen Rabin eine Nazi-Uniform trug. Das ist empörend.“ Er
nickt vor sich hin. „Ich kann mir vorstellen, warum dieser Herr die Araber
nicht leiden kann: Er macht sie verantwortlich für den Tod seines Bruders und
er ist besessen von der Idee, den Terrorismus auszumerzen. In seiner Wut und
Trauer kann er nicht unterscheiden zwischen persönlichem Leid und politischem
Geschehen. Genau wie mein eigener Sohn. Eine tragische Parallelität.“ Er
seufzt. „Und eine mit Folgen. Dieser Herr, in Amerika nennen sie ihn Netanya
who? , hat nämlich kurz nach dem Tod des Bruders eine Institution zur
Erforschung des internationalen Terrorismus gegründet, was immer das eigentlich
auch ist, und sich somit ein Forum geschaffen, auf dem er seine fixe Idee, alle
Araber über einen Kamm zu scheren, den terroristischen natürlich, verbreiten
kann. Und Raffael,
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