Der Mann aus Israel (German Edition)
Rufe aus der
Warteschlange ignoriert er. Kaum stehen wir in der Kabine, hebt sie ab, und wir
schweben hinauf auf den Felsen.
In rasender Eile erklärt Raffi oben die touristischen
Höhepunkte. Es ist erst halb elf Uhr, aber bereits brütend heiß. Die Touristen
sind froh, dass sie ihm nicht lange zuhören müssen. Es gibt auf Masada so gut
wie keinen Schatten. Die Sonne knallt ungehindert auf das sandige Hochplateau.
Ich lehne an der Mauer der uralten Synagoge und betrachte meinen Geliebten. Er
ist einer, der mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, überlege ich, ein
Mann von geballter Kraft und spielerisch eleganten Bewegungen, eine rare
Kombination. Der Wind weht ihm durch die goldenen Haare, den Strohhut hält er
in der Hand. Er erzählt etwas von Sikariern und davon, dass Josephus
Flavius in Griechisch geschrieben hat und eigentlich Josef ben Mattitjahu hieß
und ein Jude aus Jerusalem war. Ich verstehe die Zusammenhänge nicht, von mir
aus könnte er aus Mein Kampf zitieren, ich würde den Unterschied gar
nicht bemerken, so vertieft bin ich in den Anblick des Mannes, den ich liebe.
Mein Glück ist grenzenlos, ich fühle mich friedfertig, mein Hunger ist
gestillt. Ich habe endlich mein Heim gefunden, meine Lichthöhle, mein
Sternenhaus.
Als er merkt, dass ich ihn betrachte, lächelt er mir zu. Ein
wohlige Glut durchwärmt meinen Körper. Die Welt steht still.
Kaum sind wir an der Badeanstalt in En Gedi angekommen,
verteilt Raffael die Eintrittskarten für die Schwimmanlage mit Schwefelbecken,
Schlammlöchern, Sonnenschirm am Strand, Mittagessencoupons. „Wenn Sie die
Eintrittskarte vorweisen, erhalten sie zehn Prozent Ermäßigung im
Selbstbedienungs-Restaurant. Es gibt Salate und frische Hühnchen vom Grill. Ein
Getränk ist im Preis inbegriffen.“ Sein Ton ist unnötig scharf. Als ich etwas
sagen will, schiebt er mich in den Sitz zurück und legt den Finger an den Mund.
„Ganz ruhig, Prinzessin, lass` mich nur machen.“
„Am besten, Sie gehen zuerst zum Essen, dann in aller Ruhe
in die Schwefelbecken. Danach können Sie sich mit dem Schlamm einreiben,
abduschen und im Toten Meer liegen. Als letzte Station empfehle ich Ihnen den
Swimmingpool, hier gerade hinter dem Haus. Um fünfzehn Uhr fünfzehn fahren wir
von hier ab, zurück Richtung Jerusalem. Teilen Sie sich die Zeit ein, damit Sie
pünktlich zur Abfahrt hier sein werden. Ich wünsche Ihnen viel Spaß.“ Die
Stimme ist unnachgiebig. Niemand getraut sich, noch etwas zu fragen. Man spürt,
dass er die Touristen loshaben will. Die Gruppe folgt auch, wie gewohnt, brav
den Befehlen des Erzengels und trollt sich Richtung Restaurant.
„Na?“ lacht er mich an. Seine grünen Augen schimmern. „Habe
ich das nicht gut gemacht? Jetzt sind wir beide ganz allein.“ Er nimmt meinen
Arm und führt mich, am Restaurant vorbei, auf eine kleine, verborgene Terrasse.
Es stehen nur zwei leere weiße Tische und ein paar Stühle dort.
„Bis Deine Leute gegessen haben, verstecken wir uns hier.
Wenn sie dann schwimmen gehen, rücken wir langsam nach. So können wir die
nächsten Stunden ganz für uns sein.“ Er schnalzt mit der Zunge und lacht mich
an. Jung und fröhlich sieht er aus, denke ich, sein Gesicht hat die scharfe
Konzentriertheit der ersten Tage verloren.
„Bist Du glücklich?“ frage ich ihn. Er nickt bejahend und
küsst meine Fingerspitzen.
„Ich habe eine Zauberin getroffen.“ sagt er. „Sie hat mir
einen Liebestrank gegeben.“
„Mein Tristan!“ rufe ich beschwingt. „Meine Isolde!“
antwortet er. Wir lachen. Es ist schön hier und behaglich. Die Terrasse mit den
billigen weißen Plastikstühlen ist von einer dichten lilafarbenen
Bougainvilléas-Hecke umwoben. Ihre Äste drehen sich elegant um den
Nato-Stacheldrahtzaun, der die Terrasse schützt. Vor was wohl, denke ich. Die
kleinen scharfen Messerchen des Zaunes blinken in der Sonne. In der Ferne
erkenne ich die braunrosa Zacken der Berge auf der jordanischen Seite, die aus
dem Blassblau des Toten Meeres herauswachsen. Von dort oben hat Moses zum
ersten Mal das Gelobte Land gesehen, nach vierzig Jahren Wüstenwanderung. Wie
muss sein Herz jubiliert haben, als Gott ihm endlich das verheißene Land
zeigte. Von Gilead bis Dan und Naftali und das ganze Land Ephraim und Manasse
und Juda bis an das Meer im Westen und das Südland und die Gegend um den
Jordan, die Ebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar.
„Wo liegt eigentlich Zoar?“ frage ich.
„Da, schräg gegenüber,
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