Der Mann aus Israel (German Edition)
werde das Haus in Frankfurt verkaufen, überlege ich. Ja
genau, so werde ich es machen. Ich werde das Haus versilbern. Wozu habe ich es
denn? Soll ich warten, bis ich alt und klapprig bin, dann nützt mir das viele
Geld auch nichts mehr. Ich werde das Haus verkaufen und mit dem Geld ein neues
Leben anfangen. Ein Leben mit Raffael.
„Sie leisteten zwei Jahre Widerstand gegen General Flavius
und seine große römische Legion. Als keine Hoffnung auf Sieg mehr bestand,
beschlossen die Zeloten, lieber frei zu sterben als unfrei zu leben.“
Meine Schwestern werden schon einverstanden sein, dass ich
meinen Anteil verkaufe. Vielleicht haben sie selber Interesse daran, dann
bleibt der alte Kasten wenigstens in der Familie. Wie viel Geld ich wohl dafür
bekomme? Blöd, dass ich mich nie für Geldgeschäfte interessiert habe, jetzt
könnte es mir nützlich sein. Mir fällt ein, dass wir eine Schätzung machen ließen,
als Großvater uns das Haus vererbt hatte. Wie viel kam denn dabei heraus?
Herrgott nochmal, weshalb bin ich nur so unkonzentriert, wenn es ums Geld geht!
Ich glaube, es waren sechs Millionen Mark oder vielleicht auch sieben. Was weiß
denn ich. Auf jeden Fall war es viel. Und Bahnhofstrasse in Frankfurt ist ja
eine gute Adresse. Na, eine gute vielleicht nicht, aber eine teure. Und das ist
jetzt im Moment viel wichtiger.
„Die Folge war ein Massenselbstmord, den nur zwei Frauen
und fünf Kinder überlebten.“
Sechs Millionen geteilt durch vier Schwestern, hieße für
mich eineinhalb Millionen. Das müsste doch reichen, denke ich, auch wenn der
Staat noch was abzwickt.
„Diese Geschichte hat der jüdisch-römische Historiker und
Kriegsberichterstatter Josephus Flavius aufgezeichnet. Sie ist hier in Israel
sehr bekannt.“
Es sollte doch möglich sein, ein Mietshaus mitten in der
Innenstadt von Frankfurt schnell zu verkaufen, grüble ich, mit dem Geld werde
ich dann nach Jerusalem gehen. Ich brauche Bargeld. Wie lange das wohl dauern
wird, bis ich die Moneten im Sack habe?
„Das beinahe zweitausendjährige Exil von uns Juden endete
erst 1948 mit der Staatsgründung von Israel. Sie ist die Fortsetzung der mit
den Zeloten abgebrochenen Geschichte jüdischer Staatlichkeit. Wir, die
Nachkommen der Widerstandskämpfer von einst, haben eine der schlagkräftigsten
Armeen der Welt aufgebaut.“
Ich werde mir eine Wohnung in Jerusalem kaufen, unter der
Montefiori-Windmühle, mit dem herrlichen Blick auf die alte Stadtmauer. Dann
kann Raffi zu mir kommen. Wir brauchen niemanden, ich habe genug für uns beide.
Ich werde das, was ich habe, mit ihm teilen. Es wird elegant gedeckte Tische
geben bei uns, kein Pappgeschirr und Nescafé, dafür aber Kerzenschein und
Stoffservietten. Ich werde ihm die Welt schön dekorieren, und er wird sich an
Mozart und Beethoven erinnern.
„Die Rekruten unserer Armee legen bei Fackelschein im
nächtlichen Masada ihren Soldateneid ab: „Masada soll nie wieder fallen!“
Ob er sich scheiden lässt? Ich bin ganz sicher, dass er es
tun wird. Ja, ja, sicherlich wird er sich scheiden lassen, anders geht es ja
gar nicht. Er wird zu mir ziehen, und dann werden wir für immer zusammen bleiben.
„Berühmt wurde Masada durch das Gedicht von Isaac Lamdan. Er
hat es 1927 geschrieben, es ist ein langes Gedicht, das von der Jugend der dreißiger
Jahre mit Leidenschaft gelesen wurde. Masada trat dadurch aus der Geschichte
hervor und erlangte den Rang eines Symbols.“
Meine Buben werden es verstehen. Sie sind in einem Alter, wo
sie begreifen können, dass ihre Mutter bei dem Mann bleiben muss, den sie
liebt, den sie endlich, endlich lieben kann. Ich werde es ihnen erklären, und
sie werden es verstehen.
„Masada ist ein jüdisches Symbol geworden, ein Mythos. Unser
Mythos. Wir werden es nicht dulden, dass wir noch einmal vertrieben werden aus
unserem Land.“
Sie werden mich verstehen, ich bin ganz sicher. Sie werden
es sicher verstehen. Wir werden Freunde bleiben können. Sie werden meine
Freunde bleiben. Mir rasen die Gedanken fieberhaft durch den Kopf, in alle
Richtungen, ich denke tausend Dinge gleichzeitig.
„Seit Ende der zwanziger Jahre organisierten Gymnasiasten
aus Jerusalem und Tel Aviv und aus den vielen Kibbuzim Rundreisen um das Tote
Meer. Der Höhepunkt dieser Fahrten war die Besteigung des Felsens von Masada.
Damals gab es natürlich noch keine Seilbahn. Im Rucksack hatten die Jungs und
Mädchen Isaac Lamdans Gedicht Masada oder Josephus Flavius` Jüdischen
Krieg.
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