Der Mann aus Israel (German Edition)
ruhig. Sonst verstehe ich nichts.“ herrscht er
mich an und rückt noch ein Stück weg von mir.
Filmaufnahmen der Friedenskundgebung werden eingestreut,
eine wogende Menge singender Menschen ist zu sehen, die Kerzen in den Händen
halten. Auf der Tribüne stehen Rabin, Peres, Sarid und eine Schlagersängerin,
die dem Ministerpräsidenten das Mikrofon hinhält. Sehr zögerlich, mit einem
winzigen Lächeln, beginnt er heiser und in falscher Tonalität, das Friedenslied
mitzusingen. Er ist von der Situation sichtlich gerührt. Noch nie vorher habe
er das getan, in der Öffentlichkeit singen, sagt der Nachrichtensprecher mit
bebender Stimme. Sein Tod sei nun offiziell bestätigt, spricht die Stimme
weiter, Ministerpräsident Rabin ist um 23.15 Uhr verstorben. Sein Mörder hat
ihm auf dem Nachhauseweg von dem überwältigend erfolgreichen Friedensfest
aufgelauert. Wir weinen um Dich, Yitzhak, sagt die Stimme, Du
tapferer Kämpfer . Jetzt kann auch ich meine Tränen nicht länger
zurückhalten. Es ist also wahr, kein nächtlicher Alptraum, nein, grausame
Wirklichkeit. Yitzhak Rabin ist tot. Ob am Ende sein Traum vom Frieden mit ihm
gestorben ist? Ich schaue zu Raffi hinüber, er starrt auf den Fernsehapparat.
Vorsichtig lege ich meine Arme um ihn, er sinkt auf meinen Schoss, seine
Schultern zucken, ich spüre seiner heißen Tränen Flut auf meinen nackten Armen.
„Das ist das Ende.“ Höre ich seine in Tränen aufgelöste
Stimme. Sie ist ganz hohl und rau. „Wir werden unser Land verlieren. Sie werden
es uns wegnehmen.“
„Schsch, mein Liebling, nichts werden sie Euch wegnehmen.“
Ich wiege ihn in meinen Armen wie ein krankes Baby. „Weine nur.“
Der große Mann schluchzt hemmungslos. Ich streichle über
seine Haare, halte seine kalten Hände fest. Lieber Gott, bete ich, gib` mir
Kraft, lass` mich diesen Horror überstehen. Der Mann in meinen Armen hört nicht
auf zu weinen, immer wieder flüstert er dieselben Worte. „Wir werden unser Land
verlieren.“ Wie groß ist sein Schmerz, denke ich voller Mitleid und hoffe, dass
mein geduldiges Wiegen ihn beruhigen wird.
Ich taste nach der Fernbedienung für den Fernsehapparat und
drücke auf Aus . Ich kann dieses Gerede, dieses minutiöse Zerpflücken
einer grauenhaften Mordtat, diese wortreiche Suche nach einem Motiv, dieses
detektivische Auseinandernehmen des Tathergangs nicht länger aushalten. Er ist
tot, rufe ich den erregten Rednern stumm zu, Ihr könnt ihn mit Eurem Gerede
nicht wieder lebendig machen. Schweigt doch endlich. Da fährt Raffael aus
meinen Armen hoch und schlägt mir das kleine schwarze Gerät aus der Hand.
„Lass` den Apparat an!“ schreit er mich mit geschwollenen
Augen an. „ Du hast wohl schon genug? Langweilt Dich unsere Trauer bereits?“
„Aber...“ Ich bin erschrocken über seinen aggressiven Ton,
ich hatte geglaubt, er sei in meinen Armen eingeschlafen, hätte ein wenig Ruhe
gefunden.
Er steht auf, geht auf den Balkon und klammert sich an das
Gitter.
„Wir haben so gekämpft um dieses Land. Alles haben wir dafür
gegeben. Und nun macht es einer von uns zunichte.“ sagt er bitter.
„Aber Raffi, ich verstehe Dich doch.“ sage ich betroffen.
„Wie willst Du etwas verstehen?“ antwortet er schneidend.
„Gar nichts verstehst Du. Du bist eine Fremde. Du hast überhaupt keine Ahnung.
Von nichts.“
„Wie kannst Du nur...“ beginne ich, aber er fällt mir sofort
ins Wort.
„Meinst Du, weil Du ein paar Brocken hebräisch sprichst,
kannst Du unsere Seelen verstehen?“ schreit er. Sein Hemd hängt ihm aus der
Hose. „Deine kümmerlichen Kenntnisse über mein Land hast Du in Luxushotels
gesammelt. Aber in seidene Kissen gebettet, kapiert man die Geschichte meines
Volkes nicht.“ Er steht im Türrahmen, hinter ihm brennt die Lampe des Balkons,
die seinen Schatten ins Zimmer wirft. Weit hat er sein riesiges Maul
aufgerissen, ich sehe seinen Speichel aus dem Mund rinnen.
„Hör` auf.“ Ich kann mich kaum beherrschen, gleich fange ich
auch zu brüllen an. „Hör` auf.“
„Aufhören?“ fragt er hämisch. „Immer wenn es der Gnädigsten
nicht passt, soll ich Trottel das Maul halten, ja? Ist es das, was Du willst?
Für Dich ist doch alles in meinem Land Dreck und Proletenscheiße. Aber ich
glaube an dieses Land. Ich liebe es.“ Er kommt auf mich zu, packt mich an den
Schultern und schüttelt mich, bis mir schwindlig wird. „Ich liebe dieses Land,
auch wenn das in Dein verwöhntes Schafshirn nicht
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