Der Mann aus Israel (German Edition)
Lampe drehen und ihr
Licht tausendfach an den Wänden zittern. Ich liege inmitten der Kissen und
schaue dem Lichterspiel zu. Mein Zimmer ist ein Palast aus Tausendundeiner
Nacht, ich bin Scheherezade, und gleich wird mein Fürst ans Tor klopfen. Er
wird einen goldenen Turban tragen und persische Schnabelschuhe mit Diamanten
besetzt, den Krummdolch hat er aus der Scheide genommen und in seinen Gemächern
zurückgelassen. Zur Nacht der Liebe kommt er unbewaffnet. Er wird sich über
mein Lager beugen und mit begehrlichen Lippen meinen Mund küssen.
Ich liege tief in den Kissen, herrlich entspannt und spüre
die Glut des warmen Feuers in meinem Körper. Mitten im Herbst beginnt für mich
das Leben, denke ich lächelnd. Ich bin ein Apfelbaum im rosa Frühlingskleid,
die Äste mit unzähligen zarten Knospen weitausgebreitet und stolz der Sonne
darbietend. Ich bin eine blauschwarze Wasserlilie, die verträumt ihre Schwünge
zieht, getrieben vom Maiwind, der ihr kess eine rosarote Apfelblüte aufs dunkle
Haupt geblasen hat. Endlich ist es hell in meinem Herzen, denke ich begeistert,
klar und rein, der finstre Sommer ist vorüber, mein Leben hat begonnen. Soweit
ich in meine eigene Geschichte zurückdenken kann, soweit reicht das Gefühl,
dass mein Sinnesleben ein permanenter Stillstand war. Untertourig und lauwarm.
Der erste Kuss, den ein Mann mir gab, war ein Versprechen, eine Ahnung dessen,
was ich seither vergebens erträumt hatte und erst in Raffaels Umarmung fand.
Gestern. Ein paar Monate noch und ich werde achtundvierzig sein. Mein Gott,
denke ich, oft geküsst, aber immer falsch. Jahrzehnte lang. Jetzt erst reckt
sich die Rose zur Blüte. Wie lange werde ich sie blühen lassen können?
Giovanni hieß der erste, der mit weichen Lippen mir sanft
den Mund berührte. Die Wolken rissen damals auseinander, noch heute entsinne ich
mich des unvorstellbaren Erstaunens über die Blitze von ungeahntem Wohlfühlen,
die mich durchjagten, als er meinen Mund berührte. Ich hatte schreckliche
Angst, eine Todsünde begangen zu haben. Vielleicht würde ich sogar schwanger
werden. Ich muss grinsen. Giovanni. Seinen Nachnamen habe ich vergessen. Es war
bei irgendeinem Skirennen in Südtirol, und er hatte eine Schmalzlocke in die
Stirn hängen.
Die Türe öffnet sich einen Spalt, mein Geliebter tritt ein.
Er hat keine Geschmeide in die Stirne hängen, sein Gewand glitzert nicht im
changierenden Glanz handgewobener Seide, sein Gesicht ziert kein duftender,
dunkler Lockenbart, in dessen Kringeln Diamanten und Rubine schimmern. Aber er
erscheint mir schöner und willkommener, stärker und ersehnter als es je ein
Märchenprinz sein würde.
„Schau, Raffi“, rufe ich ihm zu und zeige auf die tausend
Lichter, die die drehende Lampe auf die Wände wirft. „das Firmament spielt Karussell
für uns. Komm` ganz schnell zu mir, sonst wird es mir schwindlig.“
„Hier bin ich, meine Prinzessin.“ flüstert der geliebte Mann
sanft, und ein unendlicher, ein nimmerendender Traum beginnt.
Sechster Tag
Den Himmel habe ich mir aufs Haupt gesetzt, denke ich
verträumt, dunkel leuchten die Sterne in meiner Krone. Die Menschen sind ängstliche
Vögel, ich aber bin die Herrin des Universums, mutig und unbesiegbar. Eine
Blüte aus poliertem Lapislazuli mit geschwungenen Blättern in hauchdünn
geschlagenem Gold hat er mir gebracht, der Geliebte. Heilige Hochzeit feiern
wir. Ich habe ihn zum Gott erhoben, nicht länger wird er mit gebücktem Kreuz
meine Gärten pflegen. Er wird neben mir auf dem Thron sitzen, die Muskeln mit
Weihrauchöl getränkt, um die Hüften ein luftblaues Seidentuch, die Fransen
golddurchwirkt. Meine Karawanen haben es aus China gebracht. Der fremde Mann,
der wildgeborene, aus der Steppen Ferne, wird für alle Zeit mein purpurnes
Lager teilen. Mein göttlicher Schoss wird ihn befrieden. Ich lächle dem Mond,
meinem silbernen Bruder, zu, der sein sanft schimmerndes Licht auf unsere weichen
Kissen schickt und meine Haut wie Alabaster scheinen lässt.
Der kratzende Laut eines metallenen Reißverschlusses, der
ungeduldig zugezogen wird, lässt meine Bilder vom mächtigen prunkvollen
Liebesschloss am Schilfufer des ewigen Tigrisflusses brechen, zerstäuben wie
ein buntes Mandala, in das der Wind fegt, auflösen in tausend Sandkörner,
vergehen, verlöschen. Das ekelhafte Geräusch zerstört meine Träume, reißt die
Mauern meines zinnenbewehrten Zauberpalastes ein und jagt ihn in die nebligen
Tiefen der finsteren Unterwelt.
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