Der Mann aus Israel (German Edition)
Mach` die Augen auf, befehle ich mir.
Ich sehe Raffael am Ende des Bettes stehen. Er stopft sein
Hemd in die Hose. „Ich muss für eine halbe Stunde verschwinden.“
„Was?“ rufe ich benommen. Ich werfe einen schnellen Blick
auf die Uhr. Es ist zehn Minuten nach Mitternacht. Wo will er denn jetzt hin?
„Ich muss nur ganz schnell mal weg.“ Er streicht sich rasch
durchs Haar. Seine Stimme klingt verlegen.
„Wohin gehst Du?“ frage ich verschlafen und richte mich
langsam im Bett auf.
„Ich muss für eine halbe Stunde in mein Zimmer.“ antwortet
er, ohne mich dabei anzusehen. „Meine Frau ruft immer zwischen Mitternacht und
halb ein Uhr an.“ fügt er hinzu.
„Was?“ schreie ich. Plötzlich bin ich hellwach. Aber Raffael
hat die Tür bereits hinter sich geschlossen. Ich stürze aus dem Bett und laufe
zwischen Balkon und Badezimmer hin und her. Das gibt es doch nicht!, denke ich
verstört. Das kann doch gar nicht stimmen. Seine Frau veranstaltet nächtliche
Kontrollanrufe, und er lässt sich das bieten. Jetzt, wo er mich getroffen hat.
Nein! Nein! Das darf nicht sein. Wie in einem Gewittersturm jagen die Gedanken
durch meinen Kopf, giftige Pfeilspitzen eines grausamen Verdachtes verankern
sich schmerzvoll in meinem Herzen. Er hat mich geschächtet, denke ich, und nun
blute ich aus. Wie ein Opfertier. Wenn er zurückkommt, wird er eine Tote
finden, die Geliebte, die er mit kaltem Herzen hingerichtet hat. Schnell drehe
ich zweimal den Schlüssel im Schloss herum. Ich werde ihn nicht mehr
hereinlassen.
Im dunklen Zimmer kann ich die Zigaretten nicht finden. Ich
erinnere mich nicht, wo der Lichtschalter ist. Meine Knie geben nach, ich setze
mich auf den Rand des Bettes. Im Zimmer hängt noch der Duft unserer wunderbaren
Liebe. Hormondurchtränkt, süßlich und weich. Ich atme den herrlichen Geruch ein
und meine Tränen lösen sich. Wieso tut er mir so weh? Raffi, wieso tust Du das?
Ich verstehe Dich nicht. Weshalb stößt Du mir das Messer ins Herz? Wieso Du?
Du. Du. Ach, ich sehne mich nach Tränen, Liebestränen, schmerzenmild... Wie
habe ich dieses Gedicht geliebt, ich romantische Närrin, ich Unwissende. Im
sicheren Elfenbeinturm meiner Weltfremdheit träumte ich von den Verfolgungen
der Leidenschaft, den prickelnden Qualen der großen Liebe, während an meiner
Seite der treue Lucius mich langweilte. Jetzt bin ich ihm begegnet, dem
einzigen, einmaligen, großen Gefühl. Und die Ozeane meines Tränenstromes werden
mich austrocknen. Als vergilbte, zerknitterte Mumie wird man mich auf die
Müllhalde schleudern.
Ich stehe auf und stelle den Airconditioner an. Er wird für
kalte, neue Luft sorgen, denke ich. Wenn Du diesen Mann willst, musst Du
kämpfen, Elisabeth, eröffnet mein Verstand den Dialog mit mir. Ja, antworte ich
laut, ich will ihn. Und ich werde kämpfen. Du hast völlig recht. Ich muss
zuallererst Linda aus dem Weg räumen. Das wird sich nicht vermeiden lassen.
Meine Überspanntheit legt sich langsam, ich mache den
kurzsichtigen, wütenden Entschluss, ihn einfach auszusperren, rückgängig. Ich schließe
die Türe wieder auf. Mein unberechenbarer Geliebter soll zurückkommen, ich bin
bereit.
Dennoch zucke ich zusammen, als es an der Türe klopft. Ich
werde so tun, als sei nichts gewesen. Souverän muss ich sein und zurückhaltend.
Mit einem energischen Schwung öffne ich die Türe.
„Raffi, mein Lieb...“ meine Worte ebben erschrocken in ein
Gegurgel ab, als ich ihm ins Gesicht sehe. Sein Mund ist verzerrt, seine Augen
starren durch mich hindurch, er versucht, die Schultern zu heben, aber es
gelingt ihm nicht. Wie gelähmt steht er da, erstarrt, bewegungslos.
„Was ist denn passiert?“ schreie ich. „Um Gottes Willen, was
ist denn mit Dir?“
„Sie haben ihn umgebracht.“ flüstert er so leise, dass ich
ihn kaum verstehen kann.
„Wen denn? Um Himmels Willen? Wen? Sag` schon!“ Er bewegt
langsam seine Hand nach oben und lässt sie sofort wieder sinken. Einem seiner
Söhne muss etwas zugestoßen sein, denke ich entsetzt. Er sucht meinen Blick mit
Augen, die ihre Konturen verloren haben. Wie zerstört wirken sie, ein Meer von
grünen Splittern. Ein wildfremder Mann steht vor mir.
„Rabin.“ sagt er heiser. „Sie haben Yitzhak Rabin
umgebracht.“ Schwach und müde klingt seine Stimme, er kann die Worte nur schwer
herauspressen.
Gott sei Dank, bloß der, schießt es mir als erstes durch den
Kopf.
„Komm`, mein Liebster.“ sage ich und nehme ihn bei der Hand.
Ich führe
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