Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
er geheißen. Er ist fast jeden Monat nach Frankreich gekommen, und fast immer hat er sich bei mir gemeldet. Daß er keinen normalen Beruf hat, vielleicht sogar was Gefährliches macht, ist mir schon klargeworden. Jeder andere hätte irgendwann mal ein Wort darüber fallen lassen, nicht aber er. Ein richtiger Gentleman war das. Und höflich, gute Manieren! Er hat mir die Tür aufgehalten, wenn wir ins Zimmer gingen. Und er wäre auch nie vor mir wieder weg.«
    Camélia fuhr herum.
    »Spielt was anderes!« schrie sie der Band zu. »Das ist der Walzer, den sie gespielt haben, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe«, fügte sie zum Chef gewandt hinzu. »Damals, als er mit dem anderen hier war, diesem großen Hageren. Ich hab ihn gefragt, ob er nicht mit mir tanzen will, aber er hat gesagt, er sei geschäftlich hier. Aber er würde später nochmal reinschauen. Und die Visage von dem anderen, die hat mir gar nicht gefallen. ›Nimm dich in acht vor deinem Kumpel!‹ hab ich ihm noch zugeflüstert.
    Ich hab schon immer Vorahnungen gehabt. Auch als mein Bruder umgekommen ist … Teddy hat mir zugeblinzelt. Er hat mit dem anderen noch drei oder vier Whiskys getrunken, hier an der Bar. Dann sind sie fort, und ich hab mit Dédé getanzt …
    Aber ich bin nicht in Stimmung gekommen. Ich hätte wetten können, daß Teddy nicht zurückkommt. Und tags darauf hab ich den anderen zwei- oder dreimal gesehen. Einmal hab ich ihn sogar auf Teddy angesprochen. Natürlich hab ich noch nichts gewußt, sonst hätte ich sicher sofort die Polizei gerufen.«
    Inzwischen hörte auch der Kellner zu, sowie ein Taxichauffeur, der jeden Abend seinen Schnaps trinken kam.
    »Ich möchte bloß wissen, wo der sich verkrochen hat«, meinte der Chef und spendierte Camélia einen Drink.
     
    Madame Brown ging aus dem Hotel, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
    Inspektor Molisson stand auf und ging ihr nach, weil er befürchtete, sie mache eine Dummheit. Sie kannte die Stadt nicht und ging zuerst im Dunkeln die Strandpromenade entlang. Außer ihr war niemand zu sehen. Sie schien aufzugehen in der feuchten Leere. Dann machte sie kehrt, entdeckte eine beleuchtete Straße, blieb einen Moment zögernd stehen und gelangte unversehens ins Stadtzentrum.
    Sie stolperte immer wieder, wie jemand, der völlig übermüdet ist. Einmal rannte sie fast, und das nächste Mal schien sie stehenbleiben zu wollen, resigniert, erschöpft. Die Leute auf der Straße drehten sich nach ihr um. Molisson, der sie nur von hinten sah, nahm an, daß sie weinte, während sie so herumirrte, und er fragte sich, ob Eva Mitchel im Interesse ihres Vaters oder in ihrem eigenen gehandelt hatte. Er war unzufrieden, und es wäre ihm lieber gewesen, persönlich eine unangenehme Aufgabe zu übernehmen, als jetzt mitansehen zu müssen, wie so ein blondes junges Ding einen Plan ausheckte und auf der Stelle in die Tat umsetzte.
    Aber was konnte die kleine Madame Brown bloß vorhaben? Sie war bestimmt von dem Gedanken besessen, das Leben ihres Mannes hänge jetzt von ihr ab, sie müsse ihn um jeden Preis finden und ihn zur Rückgabe der fünftausend Pfund bewegen.
    Es regnete nicht mehr. Der Asphalt war noch naß, und in den Pfützen spiegelte sich das Licht der Gaslaternen.
    Madame Brown war plötzlich am Hafenbecken angelangt und blieb eine ganze Weile regungslos am Wasser stehen. Ihre Absätze waren schiefgelaufen. Ihr rotes Haar kräuselte sich im Nacken. Als sie sich umwandte, stieß sie fast mit dem Inspektor zusammen. Sie erkannte ihn gleich und rief:
    »Sagen Sie mir doch, was ich tun soll!«
    Ihr Gesicht verzog sich wie zum Weinen, aber es kamen keine Tränen.
    »Ich werde Sie jetzt ins Hotel zurückbringen, und Sie werden sich zu Bett legen. Es war nicht recht von Miss Mitchel, daß sie Ihnen telegraphiert hat.«
    »Aber mein Mann … Wenn’s doch um sein Leben geht!«
    Er mußte einige Überredungskunst aufwenden, um sie zum Mitkommen zu bewegen. Von Zeit zu Zeit blieb sie vor einem dunklen Gäßchen stehen und war offenbar nahe daran, den Namen ihres Mannes laut herauszuschreien.
    »Kommen Sie!«
    »Und wenn er sich gerade hier versteckt hat?«
    Übergangslos wurde sie geschwätzig:
    »Ich kenne Teddy Baster. Mein Mann hat mir gesagt, daß er sein Chef ist und daß ich freundlich sein soll mit ihm.«
    »Nun ja, so kann man’s auch nennen«, seufzte Molisson, den dieser sinnlose Ausflug durch die Stadt mehr mitgenommen hatte als ein ganzer Tag voll harter Ermittlungsarbeit.
    »Kommen Sie

Weitere Kostenlose Bücher