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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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gnädiges Fräulein.«
    Wieder einmal vergebens. Pritchard hatte sie schon als Baby gekannt, und sie konnte ihn nicht herumkommandieren. So gab sie es auf und sagte: »Gehen Sie in die Halle und sagen Sie meinen Eltern, ich warte im Wagen.«
    »Sehr wohl, gnädiges Fräulein.«
    Charlotte ließ sich auf den Ledersitz sinken. Sie hatte drei Leute, die es wissen mußten, gefragt, und keiner von ihnen wollte ihr sagen, wo Alex war. Sie trauten ihr nicht zu, das Geheimnis zu bewahren, womit sie natürlich nicht ganz unrecht hatten. Sie hatte sich allerdings noch nicht entschieden, ob sie Felix helfen würde. Und jetzt, falls sie nicht in Erfahrung bringen konnte, was er zu wissen wünschte, blieb ihr vielleicht der schwere Entschluß erspart. Das wäre eine Erleichterung.
    Sie hatte sich mit Felix für übermorgen am gleichen Ort und um die gleiche Zeit verabredet. Was würde er sagen, wenn sie mit leeren Händen vor ihm erschien? Würde er sie verachten, weil es ihr nicht gelungen war, Alex’ Versteck herauszufinden? Nein, so ist er nicht.
    Er würde nur sehr enttäuscht sein. Aber vielleicht fällt ihm eine andere Möglichkeit ein, Alex zu finden. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Er war so sympathisch, und sie lernte so viel von ihm, daß ihr das Leben ohne ihn plötzlich unerträglich langweilig vorkam. Selbst die Ängste des furchtbaren Dilemmas, in das er sie gestürzt hatte, waren immer noch besser als die Eintönigkeit des Kleiderauswählens für einen weiteren Tag inhaltsloser gesellschaftlicher Gepflogenheiten.
    Papa und Mama stiegen in den Wagen, und Pritchard fuhr los. Papa sagte: »Was hast du, Lydia? Du siehst ja ganz verstört aus.«
    Mama blickte Charlotte an. »Was hast du heute nachmittag in der National Gallery gemacht?«
    Charlotte drohte der Atem auszusetzen. Man hat mich ertappt. Jemand hat mir nachspioniert. Jetzt wird es Ärger geben. Ihre Hände begannen zu zittern, und sie legte sie fest in ihren Schoß. »Ich habe mir die Gemälde angesehen.«
    »Du warst mit einem Mann dort.«
    Papa sagte: »Charlotte, was soll das nun schon wieder bedeuten?«
    »Es ist jemand, den ich zufällig kennengelernt habe«, sagte Charlotte. »Ihr würdet ihn nicht billigen.« »Natürlich würden wir ihn nicht billigen!« sagte Mama.
    »Er trug eine Tweedmütze!«
    Papa war entsetzt. »Eine Tweedmütze? Wer, zum Teufel, war das?«
    »Er ist ein ungewöhnlich interessanter Mann, und er versteht alles .«
    »Und er hält deine Hand«, unterbrach Mama sie.
    Papa war betrübt. »Charlotte, wie ordinär! In der National Gallery!«
    »Es ist keine Liebesaffäre«, sagte Charlotte. »Ihr habt nichts zu befürchten.«
    »Nichts zu befürchten?« Mama lachte gereizt. »Die böse alte Duchess weiß alles, und sie wird es überall herumerzählen.«
    Papa sagte: »Wie konntest du das deiner Mama antun?«
    Charlotte konnte nicht sprechen. Sie war den Tränen nahe. Sie sagte sich: Ich habe nichts Unrechtes getan, habe mich nur mit jemandem unterhalten, der vernünftig reden kann. Wie können sie nur so … so grausam sein? Ich hasse sie!
    Papa sagte: »Sage mir bitte, wer es ist. Ich denke, er wird sich mit etwas Geld abfinden lassen.«
    Charlotte schrie wütend auf: »Und ich weiß, daß er zu den wenigen gehört, die sich nicht kaufen lassen!«
    »Es ist wahrscheinlich irgendein Radikaler«, sagte Mama. »Ich nehme an, derselbe Bursche, der dir diese Flausen über die Frauenrechtlerinnen in den Kopf gesetzt hat. Zweifellos trägt er Sandalen und ißt die Kartoffeln mit der Schale.« Sie verlor die Beherrschung. »Wahrscheinlich glaubt er auch an die freie Liebe! Falls du .«
    »Nein, ich habe nichts getan«, sagte Charlotte. »Ich habe dir bereits gesagt, daß es keine Liebesaffäre ist.« Eine Träne lief ihr über die Wange. »Ich bin nicht romantisch veranlagt.«
    »Ich glaube dir kein Wort«, sagte Papa angewidert.
    »Kein Mensch wird dir glauben. Du scheinst dir nicht bewußt zu sein, daß diese Episode für uns alle eine gesellschaftliche Katastrophe ist.«
    »Wir sollten sie in ein Kloster stecken!« rief Mama hysterisch aus und begann zu weinen.
    »Das wird bestimmt nicht nötig sein«, sagte Papa.
    Mama schüttelte den Kopf. »Ich habe es nicht so gemeint. Es tut mir leid, so aufgebracht zu sein, aber ich mache mir solche Sorgen .«
    »Allerdings wird sie nach diesem Vorfall nicht in London bleiben können.«
    »Gewiß nicht.«
    Der Wagen fuhr in den Hof des Hauses ein. Mama wischte sich die Augen, damit

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