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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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müsse, um seinen Besitz zu verwalten. Lydias Vater hatte volles Verständnis dafür. Sechs Wochen später fand die Trauung statt.
    Welch ein arroganter junger Narr bin ich damals gewesen, dachte er. Ich hatte mir vorgestellt, daß England stets die Welt regieren und ich stets mein Herz beherrschen würde.
    Der Mond trat hinter einer Wolke hervor und warf sein Licht in das Schlafzimmer. Waiden blickte auf Lydias schlafendes Gesicht. »Das habe ich nicht vorausgesehen«, murmelte er. Ich wußte nicht, daß ich mich hoffnungslos in dich verlieben würde. Ich wollte nur, daß wir einander gut verstehen, und du hast dich schließlich damit begnügt, aber ich nicht. Ich hatte nie geglaubt, daß ich dein Lächeln brauchen, mich nach deinen Küssen sehnen, verzweifelt hoffen würde, daß du einmal des Nachts in mein Zimmer kommst, und ich hätte nie geglaubt, daß ich mich einmal so ängstigen würde, dich zu verlieren.
    Sie sagte etwas im Schlaf und drehte sich um. Er zog seinen Arm unter ihrem Nacken weg und setzte sich auf den Bettrand. Falls er noch länger blieb, würde er einschlummern, und es wäre wirklich unschicklich, wenn Lydias Zofe sie am Morgen zusammen im Bett fände. Er schlüpfte in Morgenrock und Pantoffeln und schlich sich leise durch die beiden Ankleideräume in sein eigenes Schlafgemach.
    »Ich bin ein so glücklicher Mann«, sagte er, als er sich schlafen legte.

    Waiden blickte über den Frühstückstisch. Es gab kannenweise Kaffee, chinesischen und indischen Tee, Sahne, Milch, Magenlikör, eine große Schüssel mit heißem Porridge, Brötchen und Toast, Marmelade, Honig und verschiedene Konfitüren. Auf der Anrichte standen reihenweise Spirituswärmer mit silbernen Platten und Tellern mit Rührei, heißen Würstchen, Räucherspeck, Kalbsnieren und Schellfisch. Auf dem Tisch mit den kalten Platten gab es gepreßtes Rindfleisch, Schinken und Zunge. Die Fruchtschale auf einem Extratisch war mit Nektarinen, Orangen, Melonenscheiben und Erdbeeren gefüllt.
    Das soll Alex in gute Laune versetzen, dachte er.
    Waiden nahm sich etwas Rührei und Nieren und setzte sich. Er überlegte: Die Russen würden ihren Preis fordern, eine Gegenleistung für die Zusage von militärischer Hilfe verlangen. Er war nur besorgt, wie hoch dieser Preis ausfallen würde. Falls sie Forderungen stellten, die England unmöglich erfüllen könnte, würde das Geschäft platzen, und dann …?
    Es war seine Aufgabe, einen solchen Fall zu verhindern.
    Er mußte Alex manipulieren, und er fühlte sich nicht wohl bei diesem Gedanken. Daß er ihn schon von Kind an kannte, hätte ihm eine Hilfe sein können, aber er fand es leichter, mit jemandem hart zu verhandeln, der ihm persönlich gleichgültig war.
    Ich darf mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen, ermahnte er sich. Wir müssen Rußland für uns gewinnen.
    Er goß sich Kaffee ein und nahm ein Brötchen mit Honig. Eine Minute später kam Alex herein. Er sah frisch und wach aus. »Gut geschlafen?« fragte ihn Waiden.
    »Herrlich.« Alex nahm sich eine Nektarine und aß sie mit Messer und Gabel.
    »Ist das alles?« bemerkte Waiden. »Du hast doch früher das englische Frühstück so geliebt – ich erinnere mich, wie du riesige Portionen Porridge, Sahne, Rührei, Fleisch und Erdbeeren und anschließend noch Toast verlangtest.«
    »Ich bin kein Junge mehr, Onkel Stephen.«
    Ich täte gut daran, das nicht zu vergessen, dachte Waiden.
    Nach dem Frühstück gingen sie ins Morgenzimmer.
    »Unser neuer Fünfjahresplan für die Armee und die Marine wird demnächst bekanntgegeben«, sagte Alex.
    So geht er also vor, stellte Waiden fest. Zuerst rückt er mit Informationen heraus, und dann fordert er. Er erinnerte sich, wie Alex ihm einmal gesagt hatte: Onkel Stephen, ich habe mir vorgenommen, in diesem Sommer den Clausewitz zu lesen. Und dann wollte ich dich fragen, ob ich einen Freund nach Schottland zur Jagd mitbringen darf.
    »Das Budget für die nächsten fünf Jahre beläuft sich auf siebeneinhalb Milliarden Rubel«, fuhr Alex fort.
    Bei zehn Rubel für ein Pfund Sterling macht das siebenhundertfünfzig Millionen Pfund, berechnete Waiden. »Ein massives Programm«, räumte er ein, »aber mir wäre es lieber, ihr hättet vor fünf Jahren damit begonnen.«
    »Mir auch«, sagte Alex.
    »So, wie die Chancen im Augenblick stehen, werdet ihr kaum damit begonnen haben, wenn der Krieg ausbricht.«
    Alex zuckte mit den Schultern.
    Waiden überlegte: Natürlich will er sich nicht auf einen

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