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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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handelten; aber er hatte es nie gesehen, was auch wohl kaum erstaunlich war. Seine ganze Hoffnung setzte er nun auf die Anarchisten. Er hatte mit einigen, die er für »seriös« hielt, Gespräche angeknüpft, aber sie redeten nie über Waffen, wollten es wahrscheinlich nicht in seiner Anwesenheit. Er war noch nicht lange genug hier, um ihr Vertrauen zu genießen. Es gab immer Polizeispitzel in den anarchistischen Gruppen, weshalb man gegenüber Neuankömmlingen äußerst mißtrauisch war.
    Jetzt blieb ihm keine Zeit mehr für verstohlene Nachforschungen. Er mußte sich direkt erkundigen, wie man sich Waffen beschaffte, und dabei überaus vorsichtig sein. Sobald er die Information hatte, mußte er jede Verbindung mit der Jubilee Street abbrechen und in einen anderen Teil Londons ziehen, damit man ihn nicht aufspüren konnte.
    Die jungen jüdischen Straßenstrolche der Jubilee Street kamen als erste in Frage. Es waren zornige, gewalttätige Burschen. Im Gegensatz zu ihren Eltern weigerten sie sich, wie Sklaven in den Ausbeutungsbetrieben des East End zu schuften und die Anzüge zu nähen, die die Aristokraten bei den Schneidern der Savile Row bestellten. Und im Gegensatz zu ihren Eltern hörten sie nicht auf die konservativen Predigten der Rabbis. Sie hatten sich nur noch nicht entschieden, ob sie die Lösung ihres Problems in der Politik oder im Verbrechen suchen sollten.
    Nathan Sabelinsky schien ihm am besten für sein Vorhaben geeignet. Er war etwa zwanzig Jahre alt, ein gutaussehender slawischer Typ, der hohe steife Kragen und eine gelbe Weste trug. Felix hatte ihn unter den Spielern in der Gegend der Commercial Road bemerkt. Er mußte Geld haben, sonst hätte er sich das Spielen und seine gute Kleidung kaum leisten können.
    Felix schaute sich in der Bibliothek um. Außer ihm saßen hier nur noch ein eingedöster alter Mann, eine Frau in einem dicken Mantel, die »Das Kapital« auf deutsch las und sich dabei Notizen machte, und ein litauischer Jude, der in eine russische Zeitung vertieft war, die er mit einer Lupe las. Felix verließ den Raum und ging hinunter. Nathan und seine Freunde waren nirgends zu sehen. Es war auch noch ein bißchen früh für ihn, denn wenn er überhaupt arbeitete, tat er es wahrscheinlich nachts.
    Felix kehrte zu den Dunstan Houses zurück. Er packte sein Rasiermesser, die saubere Unterwäsche und das Extrahemd in seinen Pappkoffer. Zu Milly, Rudolf Rockers Frau, sagte er: »Ich habe ein Zimmer gefunden. Ich komme heute abend noch einmal zurück, um mich bei Rudolf zu bedanken.« Er schnallte den Koffer auf den Gepäckträger seines Fahrrads, fuhr zuerst zur Stadtmitte Londons und dann nach Norden, nach Camden Town. Hier fand er eine Straße mit hohen, früher einmal gepflegten Häusern, deren ursprüngliche Bewohner, zumeist angeberische Kleinbürger, inzwischen in die VorStädte gezogen waren, wo es jetzt Eisenbahnlinien gab. In einem dieser Häuser mietete Felix ein billiges kleines Zimmer bei einer Irin namens Bridget Callahan. Er bezahlte ihr zehn Schilling im voraus auf die halbmonatliche Miete.
    Um die Mittagszeit war er wieder in Stepney, vor Nathans Wohnung in der Sydney Street. Es war ein niedriges Reihenhaus mit zwei Zimmern oben und zwei Zimmern unten. Die Haustür stand weit offen. Felix trat ein.
    Der Lärm und der Gestank trafen ihn wie ein Schlag. Hier, in einem Raum von etwa dreißig Quadratmetern, hockten fünfzehn bis zwanzig Menschen eng zusammengepfercht bei der Schneiderarbeit. Die Männer benutzten Nähmaschinen, die Frauen nähten mit der Hand, und die Kinder bügelten die fertigen Kleider. Der Dampf von den Bügelbrettern vermischte sich mit dem Schweißgeruch. Die Maschinen ratterten, die Eisen zischten, und die Arbeiter schwatzten unaufhörlich auf jiddisch. Zugeschnittene Stoffstücke, die zusammengenäht werden mußten, häuften sich auf jedem verfügbaren Flecken des Fußbodens. Niemand blickte zu Felix auf, denn jeder war zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt.
    Er wandte sich an die nächste Person, eine junge Frau mit einem Baby an der Brust. Sie nähte Knöpfe auf einen Jackenärmel. »Ist Nathan da?« fragte er.
    »Oben«, antwortete sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
    Felix verließ das Zimmer und stieg die schmale Treppe hinauf. In jedem der kleinen Schlafzimmer standen vier Betten. Die meisten waren belegt, vermutlich von Leuten, die nachts arbeiteten. Er fand Nathan im Hinterzimmer. Er saß auf dem Rand seines Bettes und knöpfte sich sein Hemd

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