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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erwiesen. Nach dem Frauenrechtlerinnenprotest bei Hof und dem Auftritt des Wahnsinnigen im Park hatte sie geglaubt, es werde keine weiteren »Katastrophen« mehr geben. Und einige Tage war das Leben auch ruhig verlaufen. Charlotte hatte ein erfolgreiches Debüt in der Gesellschaft gegeben. Orlow konnte ihren Gleichmut nicht mehr stören, denn er war ins Savoy -Hotel geflohen und nahm an keinen Empfängen mehr teil. Belindas Ball war ein eindrucksvoller Erfolg gewesen. In jener Nacht hatte Lydia all ihre Sorgen vergessen und sich blendend amüsiert. Sie hatte Walzer, Polka, Two-Step, Tango und sogar den Turkey Trot getanzt. Sie hatte das halbe Oberhaus zu Partnern gehabt, einige attraktive junge Leute und vor allem ihren Mann. Es war eigentlich gar nicht schicklich, so oft mit dem eigenen Ehemann zu tanzen, wie sie es getan hatte. Aber Stephen sah so fabelhaft in seinem Frack aus und tanzte so gut, daß sie sich dem Vergnügen hingegeben hatte. Ihre Ehe hatte ohne Zweifel eine ihrer glücklicheren Phasen erreicht. Wenn sie an die vergangenen Jahre zurückdachte, hatte sie das Gefühl, es sei während der Saison schon oft so gewesen. Und dann war diese Annie aufgetaucht und hatte alles verdorben.
    Lydia hatte nur noch eine sehr vage Erinnerung an Annie als Hausmädchen in Waiden Hall gehabt. In einem so großen Haushalt konnte man unmöglich alle Diener kennen, denn allein im Haus waren fünfzig Leute beschäftigt, und dazu kamen noch die Gärtner und Stallburschen. Auch sie war nicht allen Dienern bekannt. Einmal war es ihr sogar passiert, daß sie, als sie ein Stubenmädchen in der Halle anhielt und fragte, ob Lord Waiden in seinem Zimmer sei, die Antwort erhielt: »Ich werde mal nachsehen, Madame – welchen Namen darf ich melden?«
    Immerhin erinnerte sich Lydia an den Tag, als die Haushälterin Mrs. Braithwaite in Waiden Hall zu ihr gekommen war, um ihr mitzuteilen, daß man Annie entlassen müsse, weil sie schwanger sei. Mrs. Braithwaite hatte das Wort »schwanger« nicht benutzt, sondern die Wendung »in einem Zustand, der auf unmoralischem Verhalten beruht« gebraucht. Lydia und Mrs. Braithwaite waren verlegen, aber keinesfalls schockiert gewesen. Bei Stubenmädchen war Derartiges schon öfter vorgekommen, und es war bestimmt nicht das letzte Mal. Man mußte sie einfach entlassen, denn in einem anständig geführten Haus gab es keine andere Möglichkeit, und natürlich konnte man ihr unter solchen Umständen kein Zeugnis geben. Ohne Leumundszeugnis konnte ein Mädchen zwar keine andere Stellung mehr finden, aber normalerweise brauchte sie das nicht, denn entweder heiratete sie den Vater des Kindes, oder sie kehrte zu ihrer Mutter zurück. Manchmal konnte es sogar passieren, daß ein solches Mädchen, nachdem es einmal seine Kinder aufgezogen hatte, wieder den Weg ins Haus zurückfand, als Wäscherin oder Küchenhilfe oder in irgendeiner anderen Beschäftigung, bei der sie mit ihren Arbeitgebern nicht in Kontakt kam.
    Lydia hatte angenommen, daß Annies Leben auf diese Weise verlaufen werde. Sie erinnerte sich, daß ein Gärtnergehilfe ohne Kündigung davongelaufen und auf See gegangen war – sie entsann sich dessen vor allem, weil es immer schwieriger wurde, junge Leute zu finden, die für einen bescheidenen Lohn bereit waren, als Gärtner zu arbeiten – aber natürlich hatte ihr niemand gesagt, daß es eine Verbindung zwischen diesem Jungen und Annie gab.
    Wir sind nicht hart, fand Lydia. Als Arbeitgeber sind wir verhältnismäßig großzügig. Und doch hat Charlotte reagiert, als sei ich persönlich für Annies Unglück verantwortlich. Ich frage mich, woher sie diese Ideen hat. Was hat sie noch gesagt? »Ich weiß, was Annie getan hat, und ich weiß auch, mit wem.« Um Himmels willen, wo hat das Kind solche Reden gelernt? Ich habe mir alle erdenkliche Mühe gegeben, sie zu einem sauberen und anständigen Mädchen zu erziehen, und nicht zu so einer, wie ich es war – aber daran darf ich jetzt nicht einmal denken …
    Sie tauchte ihre Feder in das Tintenfaß. Gern hätte sie ihre Sorgen mit ihrer Schwester geteilt, aber in einem Brief war es zu kompliziert. Es war schon schwierig genug in einem persönlichen Gespräch. Und in Wirklichkeit hätte sie ohnehin am liebsten mit Charlotte darüber gesprochen. Aber warum werde ich immer so ausfallend und tyrannisch, wenn ich es versuche? dachte sie.
    Pritchard trat ein. »Ein Herr Konstantin Dmitrisch Levin möchte Sie sprechen, gnädige Frau.«
    Lydia runzelte die

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