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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Inspektoren im Haus keine Nachforschungen anstellen.«
    Fürsorgeväter . ein Mann, der ein Mädchen ruiniert . diese Ausdrücke waren Charlotte fremd, aber sie erklärten sich auf erschreckende Art von selbst.
    »Natürlich sterben die Kinder dann. Sie sterben meistens sogar grauenhaft schnell, und dann steht es den Fürsorgevätern frei, ein neues Opfer anzufordern. Seit Jahren haben sich Frauen für eine Änderung des Armengesetzes engagiert, haben sich bemüht, die unehelichen Kinder zu schützen und es den reichen Schuften unmöglich zu machen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Immer wieder wurde es versucht, aber es war stets vergebens, weil .« ihre Stimme bekam jetzt den Klang eines leidenschaftlichen Aufschreis, ». weil diejenigen, die sich wirklich um diese Dinge kümmern, eben nur Frauen sind!«
    Die Anwesenden brachen in lauten Beifall aus, und eine Frau neben Charlotte rief aus: »Hört, hört!«
    Charlotte wandte sich der Frau zu und faßte sie am Arm.
    »Ist das wahr?« fragte sie. »Ist das wirklich wahr?«
    Aber Mrs. Pankhurst fuhr fort.
    »Ich wünschte, ich hätte die Zeit und die Kraft, euch von all den Tragödien zu erzählen, deren Zeuge ich war, als ich diesem Komitee angehörte. In unserer Außenabteilung kam ich mit Witwen in Kontakt, die verzweifelt kämpften, um sich ihr Heim und ihre Familie zu erhalten. Das Gesetz sicherte diesen Frauen nur eine völlig unzureichende Unterstützung zu, so daß ihnen und ihren Kindern kein anderer Weg offenblieb, als ins Arbeitshaus zu gehen. Selbst eine Frau, die ihrem Baby noch die Brust gab, galt nach dem Gesetz als eine volltaugliche Arbeiterin. Man redet uns ständig vor, Frauen sollten zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern. Ich pflegte meine männlichen Kollegen in Erstaunen zu versetzen, indem ich ihnen sagte: ›Wenn die Frauen das Wahlrecht haben, werden sie dafür sorgen, daß die Mütter wirklich zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern können!‹ Im Jahre 1899 wurde ich in die Registratur für Geburten-und Todesfälle in Manchester versetzt. Selbst nach meinen Erfahrungen im Überwachungskomitee stellte ich mit Entsetzen fest, wie wenig Rücksicht auf Frauen und Kinder genommen wird. Dreizehnjährige Mädchen kamen in mein Büro, um die Geburten ihrer unehelichen Kinder eintragen zu lassen. In den meisten Fällen konnte überhaupt nichts unternommen werden. Das zulässige Alter ist sechzehn, aber der Mann kann ja immer behaupten, er habe angenommen, das Mädchen sei über sechzehn gewesen. Während meiner Amtszeit setzte die junge Mutter eines unehelichen Kindes ihr Baby einfach aus; es starb. Das Mädchen wurde des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Der Mann, der vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus der wahre Kindesmörder war, wurde überhaupt nicht bestraft. In jenen Tagen fragte ich mich oft, was man tun könne: Ich war der Labour Party beigetreten, weil ich glaubte, daß von dieser Seite wichtige Beschlüsse gefaßt werden könnten, von denen die Politiker endlich Notiz nehmen würden. Es war vergeblich.
    Während all dieser Jahre wuchsen meine Töchter heran. Eines Tages überraschte mich Christabel mit der Bemerkung: ›Wie lange habt ihr Frauen euch schon um das Wahlrecht bemüht? Ich beabsichtige, es mir zu erzwingen.‹ Seit diesem Tage habe ich zwei Kampfparolen: ›Wahlrecht für die Frauen‹ und ›Ich beabsichtige, es mir zu erzwingen!««
    Jemand rief: »Ich auch!« Und wieder erhob sich brausender Beifall. Charlotte fühlte sich benommen. Es war ihr, als sei sie wie Alice im Wunderland durch den Spiegel gegangen und befände sich nun in einer Welt, in der nichts mehr so war, wie es den Anschein hatte. Sie hatte in den Zeitungen von den Frauenrechtlerinnen gelesen, aber nie waren Tatsachen wie das Armengesetz, dreizehnjährige Mütter (wie war das überhaupt möglich?) oder kleine Mädchen, die sich im Arbeitshaus Bronchitis holten, erwähnt worden. Charlotte wäre alles höchst unwahrscheinlich erschienen, wenn sie nicht mit eigenen Augen Annie gesehen hätte, dieses einfache, anständige Mädchen aus Norfolk, das auf dem Pflaster von London schlafen mußte, nachdem ein Mann sie »ruiniert« hatte. Was waren dagegen schon ein paar eingeschlagene Fensterscheiben?
    »Es war viele Jahre bevor wir die Fackel des Kampfes aufflammen ließen«, fuhr Mrs. Pankhurst fort. »Wir hatten es mit allen erdenklichen Maßnahmen versucht, und unsere Jahre der Arbeit, des Leidens und der Opfer hatten uns

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