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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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herausgefunden haben, daß ich nicht in meinem Zimmer war, und man wird mir Fragen stellen. Ich werde einfach erzählen, ich sei im Park spazierengegangen. Das wird ihnen gar nicht gefallen.
    Aber es war ihr jetzt egal. Sie hatte einen Freund gefunden und war sehr glücklich.
    Vor dem Tor blickte sie sich noch einmal um. Er stand dort, wo sie ihn verlassen hatte, beobachtete sie. Sie winkte ihm diskret zu. Er winkte zurück. Irgendwie sah er verletzlich und traurig aus. Aber dann verscheuchte sie diesen dummen Gedanken und erinnerte sich daran, wie er sie gerettet hatte. Er war ein harter Bursche.
    Sie trat in den Hof und stieg die Stufen zur Tür empor.

    Als Waiden in Waiden Hall ankam, litt er an nervösen Verdauungsbeschwerden. Er hatte London in aller Eile vor dem Mittagessen verlassen, gleich nachdem der Polizeikünstler das Gesicht des Mörders gezeichnet hatte. Unterwegs hatte er im Wagen ein paar Sandwiches gegessen und dazu eine ganze Flasche Chablis getrunken. Er war gereizt.
    Heute sollte die Verhandlung mit Alex fortgesetzt werden. Er erwartete, daß Alex ihm einen Gegenvorschlag unterbreitete und daß er ein diesbezügliches Telegramm mit der Zustimmung des Zaren erhalten habe. Er hoffte, die russische Gesandtschaft war intelligent genug gewesen, Alex die Telegramme nach Waiden Hall zu schicken. Und vor allem hoffte er, daß der Gegenvorschlag vernünftig war und daß er Churchill einen Erfolg melden könnte.
    Er war sehr ungeduldig, die Verhandlung mit Alex weiterzuführen, obgleich er wußte, daß ein paar Minuten keinen großen Unterschied ausmachten und daß es ein Fehler war, im Verlauf einer Verhandlung zu großen Eifer zu zeigen. Deshalb blieb er eine Weile in der Halle stehen, um Ruhe und Fassung zu gewinnen, bevor er in das Achteckzimmer trat.
    Alex saß am Fenster. Neben ihm stand ein großes Tablett mit Tee und Kuchen, beides unberührt. Er war in grüblerischer Laune. Als Waiden eintrat, blickte er auf und fragte: »Was ist geschehen?«
    »Der Mann ist gekommen, aber leider haben wir ihn nicht erwischt«, erwiderte Waiden.
    Alex blickte fort. »Er kam, um mich zu ermorden .«
    Waiden hatte Mitleid mit ihm. Alex war jung, trug eine enorme Verantwortung, befand sich in einem fremden Land, und ein Mörder hatte es auf ihn abgesehen. Aber es hatte keinen Sinn, ihn in seiner grüblerischen Stimmung zu lassen. Waiden sprach in aufmunterndem Ton. »Wir haben jetzt eine Beschreibung des Mannes – die Polizei hat sogar ein Porträt von ihm anfertigen lassen. Thomson wird ihn in ein bis zwei Tagen hinter Schloß und Riegel bringen. Und hier bist du in Sicherheit – er kann unmöglich herausfinden, wo du bist.«
    »Wir glaubten ja auch, ich sei im Hotel sicher – und doch hat er es gefunden.«
    »Das wird nicht noch einmal geschehen.« Es war ein schlechter Beginn für eine Verhandlungssitzung, stellte Waiden fest. Er mußte einen Weg finden, Alex ein wenig aufzuheitern. »Hast du schon Tee getrunken?«
    »Ich habe keinen Durst.«
    »Wie wäre es mit einem Spaziergang – das wird dir Appetit für das Abendessen machen.«
    »Wie du willst.« Alex stand auf.
    Waiden holte ein Gewehr – für Kaninchen, wie er Alex erklärte –, und dann gingen sie hinunter zum Gutshof. Einer der von Basil Thomson zur Verfügung gestellten Leibwächter folgte ihnen in zehn Meter Entfernung.
    Waiden zeigte Alex seine preisgekrönte Sau »Princess of Waiden«. »Sie hat in den letzten beiden Jahren den Ersten Preis auf der Landwirtschaftsausstellung von East Anglia gewonnen.« Alex bewunderte die schmucken Ziegelhäuser der Pächter, die weißgetünchten Scheunen und die herrlichen Zugpferde.
    »Ich erziele natürlich keine Gewinne damit«, erklärte Waiden. »Alle Einkünfte werden für neue Viehbestände, Entwässerungsanlagen, Gebäude oder Zäune verwendet … Für die Pächterhöfe wird somit ein gewisser Standard gesetzt, und wenn ich einmal sterbe, wird dieser Gutshof sehr viel mehr wert sein, als zur Zeit, da ich ihn erbte.«
    »In Rußland können wir keine solche Landwirtschaft betreiben«, sagte Alex. Jetzt denkt er wenigstens an etwas anderes, stellte Waiden zufrieden fest. Alex fuhr fort: »Unsere Bauern sind neuen Methoden nicht zugänglich, sie fassen keine landwirtschaftlichen Maschinen an und halten neue Gebäude oder gutes Werkzeug nicht instand. Sie sind immer noch Leibeigene, zumindest in psychologischer Hinsicht. Weißt du, was sie tun, wenn die Ernte schlecht war und sie am Verhungern sind? Sie

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