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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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Flammen erinnerten. Andererseits wirkte nach einem Todesfall plötzlich alles symbolisch. Sie hatte mit ihrer Mutter über die Form und Farbe der Urne gestritten, bis sie sich, in Tränen aufgelöst, schließlich darauf geeinigt hatten, dass es keine Rolle spielte, und die schlichteste von allen genommen hatten. Am Abend zuvor hatte Elsa eine Nebensonne gesehen, einen leuchtenden orangeblauen Halbkreis rechts von der Sonne, und hatte sie für ein Zeichen von ihrem Vater gehalten, obwohl sie nicht an ein Leben nach dem Tod glaubte und wusste, dass Nebensonnen bloß durch eine bestimmte Brechung des Lichts zustande kamen. Erst als sie sich nicht hatte entscheiden können, was das Zeichen bedeuten sollte, hatte sie auf ihren Verstand gehört und dieser hatte sie den Rest des Abends in Tränen aufgelöst verbringen lassen.
    Die anderen Trauergäste standen in der Nähe des Eingangs zum Krematorium, unterhielten sich und warfen hin und wieder besorgte Blicke in ihre Richtung. Die hoch aufragenden Koniferen, die den Friedhof überblickten, streuten ihre Nadeln ins Gras und würzten die Luft mit Kiefernduft. Elsa atmete tief ein.
    Ihre Mutter trat neben sie und drückte ihre Hand und Elsa blickte sie mit Tränen in den Augen an. »Darf ich dich etwas Seltsames fragen?«
    »Was immer du möchtest, Elsa.«
    »Na ja … du bist doch sehr gläubig. Was, meinst du, passiert jetzt gerade mit Dad?«
    Ihre Mutter sah ihr nicht in die Augen, sondern drückte ihre Hand nur noch fester. Der Wind fuhr durch die hohen Zweige. Grüne Nadeln rieselten auf den Weg. Elsas Mutter wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und sagte dann: »Das Problem ist … Das Problem ist, Elsa, dass dein Vater kein gutes Leben geführt hat.«
    Der Wind, der an den Zweigen der Kiefern gerüttelt hatte, hielt abrupt inne. Einen Herzschlag lang herrschte Stille. Dann brauste er weiter, heulend und pfeifend.
    Elsa zog ihre Hand weg und schob sie zur Faust geballt in ihre Manteltasche.
    »Du wolltest es wissen«, sagte ihre Mutter kleinlaut.
    Elsa stapfte den Pfad hinauf. Sie achtete nicht darauf, in welche Richtung sie lief, und endete in einer Sackgasse, wo ein Schwarm Wespen über den Mülltonnen des Krematoriums schwirrte. Ihre Wut verwandelte sich in Scham. Sie musste kehrtmachen und an ihrer Mutter vorbeilaufen (die jetzt weinte), um zum Auto zu kommen.
    * * *
    »Dieser Wagen«, verkündete Kenneth Olivier und versetzte dem Auto einen liebevollen Klaps auf die Motorhaube, »hat Michael gehört. Er ist klein, aber er wird dich schon rauf aufs Devil’s Diadem bringen.«
    Elsa hatte sich vorgenommen, an diesem Tag ihr Versprechen einzulösen, Dot, die Nonne, in ihrem Kloster zu besuchen. »Ich bin alt hier«, hatte Dot gesagt und Elsa hoffte, dass mit diesem Alter eine gewisse Weisheit einherging, die ihr ein paar Einsichten bescheren würde. Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen und darüber nachgegrübelt, wie sie Finn, Diamantstaub weinend, im Herzen des Berges zurückgelassen hatte.
    Sie kletterte ins Auto und spürte, wie der Sitz angenehm unter ihr nachgab. Es musste lange her sein, dass Michael es gefahren hatte, doch noch immer hing schwach der Geruch eines jungen Mannes in der Luft: nach Piment und Moos und herbem Karamell. Kenneth setzte sich neben sie auf den Beifahrersitz, vordergründig, um ihr zu zeigen, welcher Knopf wozu gut war, doch an der Art, wie sein Brustkorb mit jedem Atemzug anschwoll, erkannte Elsa, dass er nur eingestiegen war, um eine Weile den Geruch seines Jungen einzuatmen.
    »Kenneth, darf ich dich etwas Seltsames fragen?«
    Er faltete die Hände auf seinem Schoß. »Was immer du möchtest.«
    »Was, äh, meinst du, passiert?«
    Er sah sie geduldig an. »Tut mir leid, Elsa, ich bin nicht sicher, ob ich dir folgen kann.«
    Sie räusperte sich. »Na ja … du bist doch ein gläubiger Mensch, oder?«
    Sie wartete schweigend ab.
    »Ah!«, sagte er plötzlich. »Ah, ich glaube, jetzt verstehe ich.«
    Sie starrte auf den Autoschlüssel in ihrer Hand.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er.
    Sie schloss die Augen.
    »Bist du jetzt enttäuscht?«, fragte er.
    »Nein … es ist nur … ich dachte … Meine Mum ist auch gläubig und sie hat gesagt …« Sie wünschte, sie hätte eine Flasche Wasser dabei, denn ihre Zunge fühlte sich plötzlich trocken an.
    »Geht es hier um deinen Vater?«
    Elsa nickte.
    »Tja, dann werde ich dir jetzt was sagen. Nach Michaels Tod habe ich sehr lange und sehr genau darüber nachgedacht. Er hat an

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