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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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alle Zutaten auf dem Küchentisch aufgereiht, und als das Handrührgerät sie beide von oben bis unten mit Teig bespritzte, brach er in schallendes Gelächter aus und Elsa dachte: Wenigstens habe ich ihm einen schönen Tag beschert, das ist doch ein guter Anfang.
    Als sie den Kuchen aus dem Ofen holten, zauberte er die Krönung des Ganzen hervor: ein Päckchen langer, eleganter Kerzen, jede mit einem neuen festen Docht und einem dunkelroten Band, das sich durch das weiße Wachs schlängelte. Sie hielt einen Moment inne und starrte ihn an.
    »Alles in Ordnung, Elsa?«
    »Ja. Ja. Wunderbar, danke.«
    Sie hatte an die Geburtstagstorte gedacht, die ihre Mutter ihr einmal gebacken hatte: ein wabbeliger Haufen Schokolade, mit Kerzen, die in der Glasur versanken. Sie hatte trotzdem köstlich geschmeckt und Elsa war glücklich gewesen, einfach nur mit ihren Eltern am Tisch zu sitzen und zu essen, bis ihre Bäuche kugelrund und ihre Münder und Wangen klebrig waren. Dann, nachdem sie sich wieder sauber gemacht hatten, hatten ihre Eltern ihr ein Geschenk in einer langen, schmalen Verpackung überreicht. Als sie es auspackte, ertappte sie die beiden dabei, wie sie einander einen verschwörerischen Blick zuwarfen: Sie wussten, dass sie das perfekte Geschenk für sie gefunden hatten. Es war ein Sonnenschirm, ein Kunstwerk aus atemberaubend schöner Spitze, bestickt mit seidig weißen Wolken.
    Sie half Kenneth, die Kerzen in den Kuchen zu stecken, und saß kurz darauf im Auto.
    Auf dem Weg zum Old Colp erblickte Elsa in der Auger Lane, deren Pflaster durch das aus den Rillen wuchernde Unkraut grün wirkte, zwei alte Frauen, die dort in einem Vorgarten ihre Spinnräder aufgestellt hatten. Sie unterhielten sich leise und über dem Surren und Klicken der Räder waren von dem, was sie sagten, nur die Konsonanten zu hören. Elsa fuhr etwas langsamer, um sie einen Moment lang gedankenverloren zu beobachten, und als sie sah, wie die Speichen sich drehten und der Faden durch die Räder schnellte, fiel ihr der Nachmittag ihres Schokoladentortengeburtstags wieder ein, an dem sie in das Labyrinth gefahren waren und sie ihre Eltern abgehängt und sich allein in seinem Zentrum wiedergefunden hatte. Sie erinnerte sich, wie sie allein durch einen der grünen Korridore geschlendert war und von dem Pfad auf der anderen Seite der Hecke vertraute Stimmen gehört hatte. Die Hecke war zu dicht gewesen, als dass sie hätte hindurchsehen können, aber sie hatte gewusst, dass es die Stimmen ihrer Eltern waren, die lachten und einander neckten: Der andere habe doch keine Ahnung, in welcher Richtung es weiterging. Niemals hätten sie getrennte Wege eingeschlagen, das stand außer Frage, und Elsa lauschte vergnügt, bis sie sich schließlich für die Abzweigung entschieden, die ihre Mutter für die richtige hielt, und ihre Frotzeleien im Weitergehen fortsetzten.
    Elsa schüttelte die Erinnerung ab und ließ die Frauen mit ihren Spinnrädern hinter sich, doch sie war zu abgelenkt, um darauf zu achten, wohin sie fuhr, und landete unweigerlich vor der Sankt-Erasmus-Kirche. Doch sie war glücklich über die Botschaft, die ihre Erinnerung ihr vermittelt hatte. Wenn sie vom Weg abkommen würde, dann würde sie es zusammen mit Finn tun.
    * * *
    Das Erste, was Elsa auffiel, als Finn ihr die Tür zu seiner Kate öffnete, waren die Blasen auf seinen Wangen. Jede einzelne hatte die Größe einer Träne und leuchtete in schreiendem Pink, so wie sie es sich bei Frostbeulen vorstellte. Seine Augenlider waren gerötet und rund um die Tränendrüsen wund. Er wirkte elend, doch seine Miene hellte sich auf, als er sie sah.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich wiedersehe.«
    »Finn! Was ist passiert?«
    »Mir geht es gut«, erwiderte er. »Ich glaube, ich kann nur einfach meine Gefühle schlecht verbergen.«
    »Finn, ich war so sauer auf dich …«
    »Dazu hattest du auch jedes Recht.«
    Sie stürzte nach vorn und drückte ihre Lippen auf seine. Sie hob die Hände und umfasste seinen kahlen Schädel. Erst als er aufwimmerte, wurde ihr bewusst, dass sie ihn so fest umklammerte wie einen kostbaren Schatz und ihn beinahe biss, um seine Lippen zwischen ihren zu halten. Sie löste sich von ihm und lockerte ihren Griff.
    Er blickte sie erstaunt an. »Ich dachte –«, begann er, doch sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm einen Finger auf die Lippen legte. Mit der anderen Hand malte sie Linien zwischen die Wunden auf seinen Wangen. Auf ihre Berührung hin stiegen

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