Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
Vom Netzwerk:
winzige Dampfwölkchen daraus auf und kräuselten sich um ihre Finger.
    Sie küssten sich erneut und wieder konnte sie nicht anders, als die Arme um seinen Rücken und seine Schultern zu schlingen und ihn fest an sich zu drücken. Als sie ihn abermals losließ, stieß er ein verwirrtes Keuchen aus. Sie genoss seinen Atem auf ihrem Gesicht, saugte ihn ein. Er roch wie Tau bei Einbruch der Morgendämmerung, erfüllte ihre Lunge und sie fühlte sich erfrischt. Dann fiel ihr ein diffuses Schimmern an der Seite seines Schädels auf. Es war ein feiner Nebelschleier, vom Sonnenlicht erhellt, und im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    »Finn …«
    »Was ist los?«
    »Da war … so eine Art Nebel an deinem Kopf. Jetzt ist er weg.«
    Er rieb sich vorsichtig über den Kopf.
    Es war eine so feine, ätherische Substanz gewesen, dass Elsa sich keine weiteren Gedanken darüber machte. »Egal«, meinte sie und küsste ihn abermals. Dann drückte sie seine Hand und sagte: »Alles Gute zum Geburtstag.«
    »Äh … heute ist nicht mein Geburtstag.«
    »Doch, jetzt schon.« Sie öffnete den Tortenbehälter, um ihm den Inhalt zu zeigen. »Ich brauche nur einen Teller und ein Messer.«
    Alle Papiervögel waren aus der Kate verschwunden, doch der Mülleimer quoll über vor weißem Abfall. An ihrer Stelle hatte Finn nun Papiermenschen gefaltet. Er schien jedoch noch Schwierigkeiten damit zu haben, denn bisher hatte er nur etwa ein Dutzend geschafft.
    Er räusperte sich verlegen, als Elsa die Figuren betrachtete, und fegte schließlich auch sie zusammen, um sie in den Mülleimer zu stopfen. Elsa hielt seinen Arm fest und nahm ihm die zerknickten Menschen vorsichtig aus den Händen, um sie sich genauer anzusehen. Die Hälfte davon waren Papierfrauen, die andere Hälfte Männer, und sie musste nicht fragen, um zu wissen, dass sie ihn und sie selbst darstellten.
    »Ich war gestern in dem Kloster oben auf dem Devil’s Diadem.«
    »In dem alten Bau? Was wolltest du denn da?«
    Sie holte tief Luft. »Eine alte Nonne ein paar Sachen fragen. Sie hat mir klargemacht, wie schlecht ich dich behandelt habe.«
    »Nein, Elsa, du hattest recht. Ich hätte dir erzählen müssen, was in mir ist.«
    »Aber du hattest auch recht. Ich wäre wahrscheinlich ausgeflippt und vielleicht wären wir so nie dort hingelangt, wo wir jetzt sind. Und außerdem ist es ja nicht bloß in dir, oder? Du bist das alles.«
    Er ließ den Kopf hängen. »Ja, wahrscheinlich.«
    »Ich glaube einfach, es ist falsch, sich darüber Gedanken zu machen. Das alles macht dich zu dem, der du bist, und das ist schließlich der Grund, warum ich …« Sie schluckte. »Dich mag. Ich meine, der Grund, warum ich dich mehr als nur mag.«
    Er errötete vor Erleichterung. »Ich mehr-als-nur-mag dich auch.«
    »Weißt du, Finn, ich habe wirklich das Gefühl, das mit uns könnte funktionieren. Ich vertraue dir, solange du dir selbst vertraust. Und wenn nicht, dann, na ja, wirst du es schon merken und kannst mich warnen, wenn es zu gefährlich wird.«
    Sie küssten sich, um die Vereinbarung zu besiegeln.
    »Und jetzt«, sagte Elsa, »brauche ich Streichhölzer.«
    »Streichhölzer?«
    »Für deine Geburtstagskerzen.«
    Nachdem sie die Vorhänge zugezogen und ihm die Torte mit ihren winzigen brennenden Flämmchen zusammen mit einem Geburtstagslied präsentiert hatte, blies Finn die Kerzen mit einem einzigen großen Lufthauch aus. Sie dachte an die pustenden Wolkengesichter an den Türen ihres Kleiderschranks in ihrem Zimmer in Thunderstown, daran, wie sie die versinkenden Kerzen auf ihrer matschigen Schokoladentorte ausgepustet hatte, und daran, wie ein Sturm sie aus ihrem alten Leben gerissen und direkt in dieses neue geweht hatte.
    »Ich habe auch ein Geschenk für dich. Zwei, um genau zu sein, aber es ist beides das Gleiche. Ich hoffe nur, dass wenigstens ein Paar davon passt.«
    Die größeren Schuhe waren genau richtig für ihn. Grinsend marschierte er damit durch die Kate und das neue Leder gab bei jedem Schritt ein opulentes Knarren von sich. Während er auf und ab lief, sah Elsa einen weiteren schimmernden Nebelhauch über seinem Kopf, doch auch dieser war im nächsten Augenblick wieder verschwunden. Sie lehnte sich zurück und dachte darüber nach, wie zufrieden sie damit war, Finn einfach nur auf und ab laufen zu sehen, immer und immer wieder.

Morgen von Bettys Abreise war Daniel unangemeldet vor ihrem Haus in der Candle Street aufgetaucht. Es war ein kühler Tag, eine

Weitere Kostenlose Bücher