Der Mann, der den Regen träumt
Fossiter, was passiert ist!«
»Na ja, Sir«, murmelte Abe, »das war so. Ich war auf dem Drum Head oben, mal nach den Schafen sehen nach dem ganzen Regen die letzten Tage und sie vielleicht auf ’ne andere Weide bringen, wenn die armen Viecher bis zum Hals im Schlamm gesteckt hätten. Und na ja –«
Sidney klatschte in die Hände. »Kommen Sie zur Sache, Abe!«
Das Pony schnaubte und zuckte mit den Ohren, als eine zudringliche Fliege sich ihnen näherte.
Daniel verschränkte die Arme.
»Na ja, Sir, das war so: Da oben muss der Regen ’ne ganze Ecke stärker gewesen sein, der Tümpel am Gravel Point war nämlich so vollgelaufen, dass er über die Ufer getreten ist – lauter Schlamm und Pfützen drumherum.«
Sidney Moses räusperte sich warnend, aber Daniel hob einen Finger. »Lassen Sie ihn ausreden, Mr Moses. Erzählen Sie weiter, Abe.«
Sidney verdrehte die Augen.
»Na ja, Sir, was meinen Sie, was da stand, mitten im Morast? Das Wasserpferd da. Ich wollte ja den Tag oben bei der Herde verbringen, also hatte ich Proviant dabei. Gibt nichts, was so ’n Wasserpferd lieber mag als ’n ordentliches Fisch-Sandwich, hat mein alter Herr immer gesagt, und wie’s der Zufall will, hatte ich, na ja …« Er schwenkte ein angebissenes Sardinen-Sandwich durch die Luft und das Pony wieherte hungrig.
Daniel ging die Stufen hinunter. »Warum glauben Sie, dass das ein Wasserpferd ist?«
»Sie brauchen sich nur mal den Schweif anzusehen«, mischte Sidney sich ein. Er trat neben Daniel, als wollte er ihm zeigen, wie genau er das anstellen sollte.
Daniel legte beide Hände auf den Rücken des Ponys und gab einen tiefen, kehligen Laut von sich. Das Pony schnaubte und sein Atem roch nach Algen, dann senkte es den Kopf, als sei es müde. Daniel strich ihm über das drahtige Fell an seiner Flanke und trat an ihm vorbei, um den Schweif zu begutachten.
An der Stelle, wo normale Wildpferde und Bergponys einen langen peitschenden Haarstrang hatten, endete die Wirbelsäule dieses Tiers in einem kurzen Stummel, kahl und an der Spitze schwielig. Dies schien nicht an einer Krankheit zu liegen, sondern vielmehr an einer Fehlbildung, mit der das Pony geboren worden war. Ganz am äußersten Ende des Schwanzes entdeckte Daniel drei Verhärtungen in der Haut, jede von der Form und Größe eines Fingernagels. Nachdenklich betrachtete er sie eine Weile und das einzige Geräusch ringsum war das Krächzen einer Krähe, die sich auf einer der Dachtraufen der Kirche niederließ. Die Erregung der Leute war beinahe mit Händen greifbar, doch sie waren immerhin so vernünftig, Daniel bei seiner Untersuchung nicht zu stören.
Er kauerte sich nieder und betastete eines der Hinterbeine, denn ihm war aufgefallen, wie stark das Tier gelahmt hatte, als es hinter Sidney Moses hergetrottet war. Auch dort konnte er keine krankhaften Veränderungen oder Verletzungen feststellen. Stattdessen waren an dieser Stelle die Muskeln auffallend schlecht ausgeprägt und der Huf schien zu klein, um seinen Anteil des Gewichts zu tragen. Rund um die Fessel befand sich etwa ein Dutzend weiterer dieser schuppenartigen Verhärtungen, die Daniel schon an der Schwanzspitze entdeckt hatte. Ein dünnes, transparentes Hautläppchen hing dazwischen herab und Daniel nahm es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. Es war von einer gummiartigen, glitschigen Konsistenz, die ihn an Fischflossen erinnerte.
Er seufzte. Er fühlte sich weich an diesem Tag. Hinter sich spürte er die steinerne Wucht der Kirche, die wie der Geist des Pfarrers Fossiter mit gerunzelter Stirn auf ihn herabzublicken schien. Ähnlich seinem Vater, der seine Stellung als Bergjäger aufgegeben hatte, weil er das, was die Leute von ihm verlangten, ablehnte, widerstrebte Daniel der Gedanke, dieses Wasserpferd zu töten. Bei einer Ziege sah die Sache anders aus, denn Ziegen waren gierige Geschöpfe. Dieses Pony aber hätte sich niemals hinunter nach Thunderstown gewagt, wenn es nicht hierher gezerrt worden wäre. Abe Cosser war ein Narr gewesen, es einzufangen und ausgerechnet zu einem so blutrünstigen Mann wie Sidney Moses zu bringen.
»Du musst so hart sein wie ein Amboss«, hatte sein Großvater immer gesagt, »dann spürst du die Hammerschläge irgendwann nicht mehr.« Daniel sah von einem bangen Gesicht zum anderen und wandte sich schließlich wieder dem bedauernswerten Wasserpferd zu. Er fragte sich, wie oft seine Vorväter wohl auf diesem Platz gestanden hatten, umringt von Männern mit den
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