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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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gehen würde. Sie liefen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit – Elsa war seit Jahren nicht mehr so schnell gerannt –, dann rief sie: »Jetzt!«, und sie warfen den Drachen in die Luft. Mit einem ungeduldigen Knattern hob er ab und ließ sich von den Luftströmen nach oben tragen. Schlitternd kamen sie zum Stehen und Elsa begann, den Drachen mithilfe der Lenkleinen zu steuern, obwohl sie ihn eigentlich bloß festhalten musste. Hoch über ihren Köpfen sauste er dahin und das Sonnenlicht ließ seine leuchtenden Farben erstrahlen.
    »Wie lenkst du ihn?«, japste Finn.
    »So«, sagte sie und machte es ihm vor. »Ist ganz leicht, besonders, wenn es so windig ist wie jetzt. Hier, versuch’s mal.«
    Er nahm ihr die Griffe der Lenkleinen aus der Hand, so behutsam, als wären es rohe Eier, doch bald schon wurde er sicherer. Er zog versuchsweise an einem der Griffe und der Drache tauchte zur Seite. Finn grinste und ließ ihn auf dieselbe Weise in die andere Richtung abdrehen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich mit der Technik vertraut gemacht, genauso schnell, wie er das Falten von Papiervögeln gelernt hatte. Als Nächstes ließ er den Drachen eine Acht vollführen und dann im Zickzack über den ganzen Himmel fliegen. Der Schweif des Drachens flatterte im Wind.
    Elsa beobachtete Finns Gesicht. Sein Grinsen hätte nicht mehr breiter werden können.
    »Ich frage mich, ob …«, murmelte er, während er mit den Leinen experimentierte. »Jetzt pass mal auf!«
    Er ließ den Drachen einen Bogen fliegen, dann noch einen, sodass er ein E in den Himmel schrieb. Danach schoss das Flugobjekt vertikal nach oben und schließlich den gleichen Weg wieder hinunter, beschrieb eine komplizierte Schleife und zum Schluss einen Kreis, den er mit einer Art Haken abschloss.
    »Du hast meinen Namen geschrieben!«
    Er nickte fröhlich und hielt ihr die Leinen hin. »Du bist dran.«
    Sie brachte noch ein eher fantasievolles F zustande, bevor der Drachen geradewegs auf den Boden zuraste und sich empört aufzuplustern schien, als er sich im Gras verfing. Sie hoben ihn gemeinsam auf und klopften den Staub ab.
    »Noch mal?«
    »Auf jeden Fall!«
    Elsa rannte los. Finn stürmte neben ihr her und zwischen ihnen knatterte der Drachen, kurz davor, sich jeden Moment loszureißen und auf dem Wind davonzureiten. Sie liefen über die mit Blumen übersäte Wiese und Elsa wollte gerade Jetzt! schreien, als sie plötzlich stolperte und ihr im Fallen der Drachen aus der Hand rutschte. Vor lauter Überraschung strauchelte auch Finn. Er schrie auf und grapschte vergeblich nach dem Schweif des Drachens, bevor er neben Elsa ins Gras plumpste. Sie rollten sich auf den Rücken und sahen zu, wie der Drachen davonflog und sich über den Himmel wand wie eine Schlange durchs Wasser.
    Elsa lachte.
    »Bist du nicht sauer, dass er weg ist?«
    »Nein. Wir hatten doch Spaß, solange er hier war.«
    Finn nickte.
    Sie robbte zu ihm hinüber und legte ihren Kopf auf seine Brust. Darin vernahm sie ein Geräusch wie fernes Donnergrollen. Sie lehnte sich an ihn und blickte dem Drachen nach, bis er zu einem kleinen weißen Punkt geschrumpft war, einem Stern am helllichten Tag.
    »Wir sollten auch weggehen«, sagte er.
    »Was? Aber wir sind doch gerade erst gekommen.«
    Er wurde ernst. »Nein. Ich meine, du und ich, wir sollten woanders hingehen. Wir sollten zusammen Abenteuer erleben.«
    Elsa starrte in die endlose Atmosphäre hinauf und fragte sich, wie weit ihr Drachen wohl mittlerweile geflogen war. Jenseits dieser kobaltblauen Weite lag die Unendlichkeit. »Wo sollen wir denn hin?«
    »Keine Ahnung. Das ist ja das Aufregende daran.«
    »Ich habe doch gerade erst mit meinem Job hier angefangen. Wahrscheinlich kann ich noch gar keinen Urlaub nehmen.«
    »Elsa, das meine ich auch nicht. Ich meine, wir sollten Thunderstown verlassen.«
    »Oh. Wow. Das ist ein ziemlich großer Schritt.«
    »Ja. Darum geht es ja.«
    »Finn, ich bin gerade erst hierhergezogen. Ich habe meiner Mutter heute Morgen erst erzählt, wo ich bin.«
    »Du musst den Kontakt zu ihr ja nicht wieder abbrechen; das will ich damit gar nicht sagen. Aber überleg doch mal, wie aufregend es wäre, sich einen Punkt am Horizont auszusuchen und einfach darauf zuzufahren.«
    Was, fragte Elsa sich plötzlich, wenn Thunderstown nie das Ziel ihrer Reise gewesen war, sondern bloß der Ausgangspunkt für eine sehr viel größere, die ihr noch bevorstand? Sie prüfte ihre Gefühle daraufhin, ob sie diesen Ort zu lieb

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